engels: Herr Luhmann, herrscht bei Ihnen nach der „grünen“ Europawahl Aufbruchstimmung, oder sind die technologischen Hürden für eine neue Klimapolitik doch zu hoch?
Hans-Jochen Luhmann: Sie lässt sich einfach umsetzen, indem man die Energieträger aus Sonne, Wind und der Umwelt gewinnt. In der Energieversorgung ist das keine so große Veränderung gegenüber heute. Da wird angstbezogen völlig übertrieben. Nein, es ist nicht schwierig!
Gibt es denn Beispiele aus Ländern, die bereits vorgemacht haben, wie einfach das ist?
Die kann es der Natur der Sache wegen nicht geben! Deutschland ist eine führende Industrienation. Deswegen müssen wir vorangehen. Deutschland ist es gelungen, Fotovoltaik und Windkraft zu entwickeln. Da sieht man: Strom ist nicht nur aus Kohle und Gas zu gewinnen. Der Beweis, dass es weitergeht, der steht jetzt aus. Wir müssen aus der ersten Industriellen Revolution herauskommen, in der nach Kohle gebuddelt wurde. Das ist vorbei. Jetzt muss die nächste Industrielle Revolution kommen. Und die kommt natürlicherweise von den Staaten, die als erste in die diese hineingegangen sind.
Das ist jedoch mit Angst vor einem Rückgang des Wachstums verbunden.
Angebliche Großprobleme zu thematisieren, ist nur Ablenkung von der Aufgabe, die konkret ansteht: bis 2030 den Verkehr massiv umzustellen. Unser Verkehrssystem ist vom Individualverkehr und lauter Verbrennungsmotoren dominiert. Da müssen wir herunter. Das ist die Aufgabe.
Welche umsetzbaren Modelle gibt es denn an neuen Verkehrsmitteln und -konzepten?
Theoretisch ist das einfach: Wir müssen voraussichtlich weg vom Verbrennungsmotor und wir brauchen einen Mix aus verschiedenen, neuen Verkehrsträgern. Technisch gesehen, muss man auf neue Antriebe gehen. Ob diese dann mit Elektrizität oder künstlich hergestellten, gasförmigen Stoffen primär betrieben werden, das muss den Nutzer der Fahrzeuge nicht wirklich interessieren. Aber industriell ist das natürlich ein spannendes Thema, wie man da eine Führungsrolle der deutschen Automobil- und Zulieferindustrie hinbekommt.
Die technischen Lösungen scheinen da zu sein. Wie erklären Sie sich den verkehrspolitischen Stillstand?
Die Erklärung ist immer die Gleiche: Wer etabliert ist, hat natürlich Interesse, dass dieses Etablierte auch erhalten bleibt. Und das spiegelt sich in politischen und kommunikativen Strategien wider.
Folgen des Klimawandels spüren wir bereits in heißen Sommermonaten. Wie sehen infrastrukturelle Anpassungsstrategien in den Städten aus?
Infrastrukturen werden so ausgelegt, dass sie an die Umwelt angepasst sind. Das läuft über Normen. Die aber sind noch unverändert. Es muss also eine Überarbeitung sämtlicher Normen geben, im Hinblick auf den losgetretenen Klimawandel. Das gibt es jedoch bislang nicht. Es findet also das Gleiche wie mit der Automobilindustrie statt: Augen zu und durch. Es gibt in Deutschland keine Strategie der Anpassung der Normen an den Klimawandel.
Und wie würde so eine Anpassung aussehen?
Arbeitsgruppen müssten gegründet werden, um alle Normen durchzuforsten. Die vielen relevanten Stellen überhaupt erst mal zu finden, ist ein großes Unterfangen. Technisch sind die Gebäude interessant. Es wird heißer. Und da denkt man natürlich an Klimaanlagen. In zehn Jahren haben wir die fast vollständige Ausstattung von PKWs mit Klimaanlagen erlebt, was ja energetisch etwas bedeutet. Das steht für Gebäude genauso zu erwarten.
Benötigen wir in Hinblick auf die Extremwetterereignisse der letzten Jahre ein neues Normensystem?
Nein, es gibt ja Normen. Es braucht deren Überarbeitung. In Wuppertal ist letztes Jahr ein Tankstellendach beim Starkregen zusammengebrochen. Hintergrund ist, dass es so ein Kassettendach war, in dem sich Wasser staute. Die Staatsanwaltschaft hat nach den Ermittlungen unterstellt, dass der Grund einefalsche Auslegungbei korrekter Norm war. Dass die Norm falsch sein könnte, hat die Staatsanwaltschaft nicht vor Augen gehabt. Aber es ist naheliegend: Wenn die Extremwetterereignisse zunehmen, warum sollten dann noch die alten Normen passen?
Und wie kann eine Stadt sich diesen klimatisch bedingten Veränderungen anpassen?
Besonders kompliziert ist es mit den Starkregenereignissen. Wann die wo runtergehen, ist nicht vorherzusagen. Wuppertal nimmt etwa die Topographie der Stadt auf den Rechner, um zu simulieren, wo was herunterläuft. Sie kann es quasi experimentell regnen lassen, dann sieht sie die ablaufenden Wasserströme. Auf dieser Basis kann sie die potentiell Betroffenen warnen, dass sie gefährdet sind. Wir müssen uns entsprechend wappnen.
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