Konflikte entstehen nicht aus dem Nichts, sie haben eine Geschichte. Wie im Fall Deutschlands und Polens. Der zweite Weltkrieg bleibt eine Zäsur in der Beziehung beider Länder. Die Versöhnung ist langwierig und zuweilen schmerzhaft.
Das NS-Regime hat mit dem Überfall auf Polen 1939 unzählige Opfer gefordert. Zudem brach der Krieg über Polen nahezu unerwartet herein, ohne vorausgegangene Provokation. Nach dem Krieg vergaben die Alliierten das Territorium Polen neu und versetzten die Landesgrenze weiter in den Westen. Entwurzelung, verlorene Heimat, die Traumata des Krieges und die unzähligen Verletzten: Das Land und die Menschen hatten viel zu verarbeiten. Dazu das Gefühl, das über sie hinweg bestimmt wurde und sie nun mit den Ergebnissen leben durften. Wer wäre da nicht wütend? Oder hilflos?
Gesten der Versöhnung wie der Kniefall des Altbundeskanzlers Willy Brandt bei der Kranzniederlegung am Jahrestag für die Opfer des Warschauer Ghettos 1970 konnten die Trauer mildern. Doch wie bearbeitet man sie kollektiv?
Institutionen wurden gegründet, die Opfern der NS-Diktatur humanitäre und finanzielle Hilfen zukommen ließen wie die Stiftung zur Polnisch-Deutschen Aussöhnung „Fundacja Polsko-Niemieckie Pojednanie“ (FPNP). Sie entstand im Rahmen deutscher Entschädigungszahlungen an polnische NS-Opfer 1992. OPs und Prothesen für Zwangsarbeiter und Ghettoinsassen mit schweren Gelenkproblemen konnten hierüber organisiert werden und Betroffene zur Kur fahren. Auch die Auseinandersetzung mit den Geschehnissen ist für die Verarbeitung wesentlich. Die Stiftung hält die Geschichte mit Zeitzeugen präsent: Jugendliche aus beiden Ländern können in Begegnungsprojekten mit ehemaligen Zwangsarbeitern sprechen. Aber was passiert, wenn die Zeitzeugen sterben? Wer hält dann die Geschichte für kommende Generationen wach?
Schwierig wird es auch, wenn im Versuch einer Versöhnung Wesentliches unausgesprochen bleibt und der Konflikt wieder aufflammt. Diesen Eindruck kann man seit diesem Jahr gewinnen. Polen fordert Kriegsreparationen von Deutschland in Höhe von 840 Milliarden Euro. Der Vorwurf, sich der Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg zu entziehen, steht im Raum. Mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 ist das eigentlich ad acta gelegt. Doch Polen pocht weiterhin darauf. Hier ist also noch Sand im Getriebe.
Der Fall zeigt, wie komplex die Annäherung zweier Staaten sein kann. Wie schwer eine Partei verletzt wurde oder wie stark traumatisiert: Sich zu versöhnen ist ein Prozess, der dazu dient, den Parteien das Geschehene bewusst zu machen, sich die eigenen Taten einzugestehen und Verantwortung zu übernehmen. Entscheidend ist die Bereitschaft und der Wille, an der gemeinsamen Beziehung zu wachsen.
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dpjw.org | Das Deutsch-Polnische Jugendwerk leistet Arbeit beim nachhaltigen Abbau von Ressentiments. Mit Austauschprogrammen zeigt es jungen Menschen, dass sie mehr verbindet als trennt.
west-eastern-divan.org | Das Orchester besteht zur Hälfte je aus israelischen und palästinensischen Musikern. Es erlangte durch Dirigent Daniel Barenboim internationale Beachtung.
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