Mit einem Highlight endete die erste Woche des Flow Dance Festival in Köln und Bonn. Dem brasilianischen Tänzer-Choreographen Cristian Duarte gelang es, mit seinem in São Paulo preisgekrönten Tanzsolo „HOT 100 – The Hot One Hundred Choreographers” das Publikum im ausverkauften Saal der Wachsfabrik Sürth jeden Moment der Performance in seinen Bann zu ziehen. World meets NRW: Geschickt hat das Veranstalter-Duo Klaus Dilger/Achim Conrad die großen Gastspielreihen des Kölner und Bonner Theaters mit Uraufführungen der NRW-Tanzszene und internationalen Beiträgen der freien Szene verzahnt.
Die Inspiration für sein außergewöhnliches Anliegen, in einem einzigen Solo die „heißesten“ hundert Choreographen und Choreographinnen der Tanzgeschichte tänzerisch aufzulisten, die ihn beeinflusst haben, hat sich Duarte vom gleichnamigen Text-Gemälde des schottischen Künstlers Peter Davies geholt. Ob es Zufall war, dass auch Duarte bei seiner Recherche auf hundert Stücke, Stile und Tanzkünstler gekommen ist, die ihn künstlerisch beeinflusst haben und so Teil seines Körpergedächtnisses geworden sind, oder er bei hundert Stop sagte, mag dahingestellt bleiben. Es lohnt auf jeden Fall, sich diese Liste im Internet nicht nur einmal, sondern mehrfach anzuschauen, denn nicht nur die Farbzusammenstellung ändert sich von Mal zu Mal, sondern auch die Namen der Tänzer und Choreographen am bisherigen Platz.
Besser lässt sich Duartes tänzerisch-choreographische Durchlässigkeit für Tanzstile und ihre Repräsentanten, von Vaslav Nijinsky bis Saburo Teshigawara und von Martha Graham bis Michael Jackson, nicht darstellen. Diese Durchlässigkeit signalisieren auch das gleißende Neonlicht und der weiße Tanzboden im sonst völlig schwarzen Bühnenraum der Wachsfabrik, als Cristian Duarte leichtfüßig auf die Bühne springt und sie in lockeren Sprüngen quert. Klassisches Klavier wie zu Exercises im Ballettsaal setzt den Rahmen. In der fortlaufenden Bewegung ist es eher die Andeutung als Ausführung einer Arabesque mit der Duarte, welche das Publikum auf seine virtuose Reise durch die Tanzgeschichte einstimmt. Zeit, es sich darin bequem einzurichten, bleibt nicht, denn schon mischen sich in die Klavierklänge andere Musikfragmente und Sprachfetzen aus dem Modern Dance („…that was the contraction“). Von der Anmutung des klassischen Balletts wechselt Duarte ebenso übergangslos wie fließend zu zeitgenössischen Tanzformen, kehrt am Boden liegend zu leisen Schwanenseeklängen mit ausgebreiteten Armen wie im Flügelschlag kurz zum klassischen Stil eines Marius Petipa zurück – um gleich wieder in eine zeitgenössische Bewegung mit ruckelndem Oberkörper hineinzufinden.
Diese Bewegungswechsel verlaufen völlig entspannt und unprätentiös auf einem leisen Klangteppich kurz angespielter Stücke, von Vivaldis Vier Jahreszeiten über südamerikanische Popsongs und indischen Anklängen bis hin zu Ravels Bolero. Tatsächlich wirkt der ganze Abend wie ein „choreographisches Spiel“ (Duarte) mit unendlichen Bezügen und Referenzen an herausragende Tänzer und Choreographen und deren besondere Stilistik. Duartes Körper fungiert dabei wie ein Speicher von tänzerischen Erfahrungen, den er unermüdlich füllt und aus dem er ebenso unermüdlich schöpft, um seine eigene Bewegungssprache damit anzureichern, die Ergebnisse wieder einzufüllen in das Körpergedächtnis und sie jederzeit wieder abrufen zu können. Großartig, wie Duarte mit seinem Wand-Handstand Xavier Le Roy und seiner Körperskulptur aus Self Unfinished die Referenz erweist. Und doch wäre es falsch, in jeder Bewegung Duartes den konkreten Bezug zu einem Stück oder Choreographen zu suchen. Es ist die Melange der Stile, die sein Stück zu einem außergewöhnlichen Tanzsolo machen.
Auch die zweite Woche hält noch Highlights des Tanzes in Bonn und Köln bereit. Es lohnt, sich das Programm mit Gastspielen und vor allem mit einer Welt-Uraufführung anzusehen.
www.flow-dance-festival.de
www.theater-bonn.de
www.seedance.de
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