So nah waren wir dem Phänomen Neo Rauch noch nicht. Das Max Ernst Museum in Brühl bei Köln zeigt seine neueste Werkgruppe „para”, ergänzt um weitere Gemälde, die aus dieser Ausstellung eine kleine Retrospektive machen. Die Ausstellung kommt aus New York, und dass sie jetzt im Städtchen Brühl stattfindet, ist einerseits bemerkenswert – und auf die Kontakte von Werner Spies zum Metropolitan Museum of Art in New York und zu Neo Rauch zurückzuführen –, andererseits aber auch konsequent, wenn wir auf die Verwandtschaft zum Werk von Max Ernst schauen. Deutete sich der Surrealismus in früheren Bildern von Neo Rauch lediglich an, so liegt er jetzt in aller Deutlichkeit vor. Aber sind die aktuellen Bilder von Rauch damit noch so interessant und relevant wie die Darstellungen, mit denen er bekannt und berühmt wurde?
Auch wenn er sich als Person im Hintergrund hält, Neo Rauch gehört zu den erfolgreichsten, begehrtesten, teuersten Künstlern der mittleren Generation, weltweit. Mit ihm setzt das Phänomen der „Leipziger Schule“ ein: einer realistischen figurativen Malerei, die noch den Hauch ihrer Zeitgeschichte trägt, von kultiviertem Handwerk bestimmt ist und einerseits leicht zu konsumieren ist, andererseits doch auf sich bezogen bleibt.
Die Gemälde von Neo Rauch, der 1960 in Leipzig geboren wurde, an der dortigen Hochschule bei Arno Rink studiert und nun selbst eine Professur inne hat, verfügen über Ober- flächen, die aus Malerei gewonnen sind und mithin wie Emaillen wirken. Eine abblätternde Geschichtlichkeit zeichnet sich ab, zumal wenn die Bildkonstellationen Motive aus der jüngsten deutsch-deutschen Geschichte, dem Alltag der DDR zeigen. Neo Rauch inszeniert gewissermaßen auf einer (Theater-) Bühne und setzt mehrere Erzählstränge collagenhaft zueinander. Er vernäht die Bruchstellen kaum und verrätselt mehr, als er aufklärt. Stationen seiner eigenen privaten Erfahrung kollidieren mit historischen Zitaten; wie aus Erzählungen genommen, sind puppenhafte Figuren in einen dynamischen Bildraum eingelagert – solche Bilder, in denen mit einer malerischen Intensität jede vermeintliche Lesbarkeit und Sicherheit in Frage gestellt wird, haben Rauchs Ruf begründet.
Indes scheint Neo Rauch dem Erfolg zu misstrauen. Die neue Werkgruppe “para” jedenfalls, deren Titel für Vorsilben und Anspielungen steht und programmatisch ist, greift derartige Zweifel indirekt auf. Nun sind die Bühnenräume stärker eingefasst, die Darstellung ist damit weiter auf Abstand gerückt und wirkt geschlossener. Zeitgeschichtliche Hintergründe treten zurück, dafür meint man den Maler selbst inmitten der Szenen zu sehen. Illustrativ ist dies nur bedingt, mehr ein Hervorholen traumatischer, längst überlagerter Erinnerungen, und immer wenn man bei “para” meint, die innere Logik zu verstehen, so findet sich doch ein Detail, das alles über den Haufen wirft. Nein, die Malerei von Neo Rauch ist keine Offenlegung, sondern ein Entzug. Im Grunde dürfen wir nur an der Oberfläche der Bildwelten eines ausdauernden, selbstkritischen, intelligenten Malers kratzen. Schon das ist ein Vergnügen.
Infos unter: Neo Rauch: para, bis 30. März im Max Ernst Museum, Brühl www.maxernstmuseum.lvr.de
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