Ein einziges Mal sind sich Friedrich Kiesler und Walter Pichler begegnet, 1963 in New York. Sie gehörten unterschiedlichen Generationen an und wirkten auf verschiedenen Kontinenten. Trotzdem – die Werke von Kiesler (1890-1965), der 1926 von Wien nach New York emigriert war, und seinem Landsmann Pichler (1936-2012) jetzt zusammen im Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld zu sehen, ist großartig und erhellend. Beide reagieren mit utopischen Entwürfen auf ihre Zeit. Sie suchen nach Bauformen, die dem Menschen gerecht werden, den Innen- zum Außenraum öffnen und Architektur, Kunst und Design zusammenführen.
Kiesler, der ausgebildete Architekt, hat mit Bühnenbildern und Displays für Ausstellungen begonnen; bei seinen Bauten hat er mit freien Formen experimentiert. Pichler, der Kunst studiert hatte, hat frühzeitig plastische Werke und Zeichnungen geschaffen, die er als Gebäude verstand. Ab 1972 hat er im Burgenland einen Bauernhof für die Präsentation seiner Werke umgebaut.
In der Hauptsache geht es bei beiden um Stadt, Raum, Bewegung und sinnliche Erfahrung. Das beginnt in Krefeld mit Kieslers riesiger „Raumstadt“ (1925), die als konstruktivistisches Regelsystem ebenso der Entwurf einer schwebenden Stadt ist, und führt über Pichlers Kleinskulpturen aus Gips und Zinn, die Gebäude darstellen, zu dessen Installation „Pneumatischer Raum“ (1966). Und während seine Bodenplastik „Zwei Tiegel mit Zuflüssen (Modell einer guten Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau)“ (1971) als Krater aus Messing und Sand emporwächst, hat Kiesler die tischartige Bronzeskulptur „Landscape – The Marriage of Heaven and Earth“ (1961-64) geschaffen. Später beschäftigt Pichler das Motiv der Schädeldecke als Modell für Architektur und als geistiger Rückzugsort. Gemeinsam ist beiden dann wieder die Hinwendung zu Möbel- und Funktionsdesign. Fast überfordert die Ausstellung ein wenig, so gut sie auch inszeniert und durch Texte, Zeichnungen und Fotografien erläutert ist. Und später ist man froh und bereichert, diese seltenen Werke gesehen und ihre heutige Aktualität erfahren zu haben.
Visionäre Räume. Walter Pichler trifft Friedrich Kiesler | bis 30.3. | Kaiser Wilhelm Museum Krefeld | 02151 97 55 80
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