Es war maßgeblich der Hagener Folkwang-Gründer Karl Ernst Osthaus, der seinem Freund und Bauhaus-Gründer Walter Gropius vor 100 Jahren zur Berufung nach Weimar verholfen hat. Darauf sind die Hagener zu Recht stolz und begehen das Jubiläum unter anderem mit einer selten gespielten Oper aus jener Zeit: Paul Hindemiths „Cardillac“ von 1926 in der dreiaktigen Ursprungsfassung.
Viel Ruhm brachte sein erstes abendfüllendes Werk seinem Schöpfer zunächst nicht ein: Die Kritiker konnten zur Uraufführung keine organische Verbindung erkennen zwischen dem auf den kühlen klanglichen Effekt bedachten und als spröde gescholtenen „Bauhaus-Barock“-Stil der Musik (Hindemith nutzt barocke Satztechniken) und dem schwarz-romantischen Stoff der Handlung, der auf E.T.A. Hoffmann zurückgeht. Es ist der reinste Thriller: Ein Goldschmied namens Cardillac treibt im Paris des 17. Jahrhunderts sein Unwesen, indem er die eigene Kundschaft dahinmeuchelt. Der Künstler kann sich einfach nicht von seinen Werken trennen, die er zuvor verkauft hat, und holt sie sich zurück.
Regisseur Jochen Biganzoli interessiert sich nicht sonderlich für diesen Krimi. Ihm geht es um den Künstler und die Kunst im Allgemeinen. Den grundlegenden Fragen: „Wozu überhaupt Kunst?“, und: „Wozu noch Kunst in einer durchkommerzialisierten Gesellschaft?“ Es sind spannende Fragen, und Biganzolis strenge formale Umsetzung mit klaren Farbcodes (Kostüme: Katharina Weissenborn) und vielen tiefgründigen Gedanken zur Kunst, die als Texte auf die nüchterne Bühne von Wolf Gutjahr projiziert werden, trifft durchaus den Nerv der Bauhaus-Zeit. Bloß gerät dabei etwas das breitere Publikum aus dem Blick. Hindemiths Musiktheater für alle Sinne und das sprachexperimentelle Libretto von Ferdinand Lion sorgen allein schon über weite Strecken für die reinste Reizüberflutung. Die ersten 20 Minuten gibt es kaum einen Moment zum Durchatmen: Der Chor ist als Volk im Aufruhr und sucht – sehr wirkungsvoll inszeniert – mit Taschenlampen nach dem Mörder. Dem kollektiven Zorn fallen prompt ein paar Unschuldige zum Opfer. Für den Chor (Leitung: Wolfgang Müller-Salow) ist das der erste, glänzend gemeisterte Kraftakt und szenisch auch noch gut greifbar.
Doch Biganzoli lässt die Handlung alsbald in Abstraktion zurücktreten und stülpt ihr seine ambitionierte Meta-Ebene über. Eine Mordszene ist gar nur als vom Orchester begleitete Text-Projektion nachzulesen, während der eigentlich sehr charismatisch agierende Bariton Thomas Berau als Cardillac zur Untätigkeit an der Rampe verurteilt ist. Andererseits werden auch dann noch Zusatztexte eingeblendet, wenn man eigentlich genug mit dem arg gewöhnungsbedürftigen Wort-Staccato des Librettos zu kämpfen hat. Gerade die jungen Zuschauer lässt das mit zunehmend ratlosen Gesichtern zurück.
Musikalisch allerdings ist diese Aufführung unter Leitung von Joseph Trafton eine Glanzleistung. Sie ist ein Kraftakt für alle Beteiligten mit überaus anspruchsvollen, viel Kondition erfordernden Partien. Neben dem überzeugenden Cardillac Berau ist Angela Davis als seine Tochter zu sehen. Das neue Ensemblemitglied gibt einen hervorragenden Einstand. Gemeinsam mit dem jungen Tenor Milen Bozhkov gibt sie ein optisch wie stimmlich strahlendes Paar 2 wenngleich ihre Figur als vom besessenen Vater völlig übersehene Tochter auch eher eine tragische ist.
Veronika Haller als Dame, die im goldenen Glitzergewand und mit dunkel fundiertem Sopran die kapitalistische Shopping-„Kultur“ verkörpert, sowie der Tenor Thomas Paul als Kavalier sind ein ebenso begeisterndes Duo. Geklärt wird die Mordserie übrigens maßgeblich vom Goldhändler. Ivo Stánchev tritt mit profundem Bass überraschend aus dem Publikum auf die Bühne. Der Mörder endet als stilisierter Christus aufgehängt an einer Bühnenstrebe – und mit der finalen Frage: „Wozu Kunst?“
„Cardillac“ | 10., 16.1. 19.30 Uhr, 26.1. 18 Uhr | Theater Hagen | 02331 207 32 18
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