Damit war nicht zu rechnen. Im Museum am Ostwall in Dortmund ist derzeit eine Folge von 23 Gemälden von Ilya Kabakow ausgestellt: ein Aspekt, den man nicht erwarten konnte. Ilya Kabakow, der 1933 in der Sowjetunion geboren wurde und nach Jahren im künstlerischen Widerstand seit 1988 in New York lebt, ist mit seinen Installationen, die er gemeinsam mit seiner Frau Emilia erstellt, weltberühmt. Thema dieser Arbeiten mit begehbaren Räumen, die an vernutzte oder noch bewohnte Baracken denken lassen, ist die prekäre Realität im Sozialismus. Kabakow arbeitet mit der Atmosphäre, indem er einerseits nüchtern registriert und andererseits surreal-absurde Momente einflechtet, die eine metaphysische Überhöhung zur Folge haben.
Ilya Kabakow ist ausgebildeter Graphiker, er hat unzählige Kinderbücher illustriert; Zeichnungen und Aquarelle begleiten seine Installationen. Durchgehend entstanden auch Malereien, aber davon wussten lediglich Spezialisten. Die Serie “Under the Snow” nun, die auch die Titel “Über den Wolken” und “Tauwetter” trägt, hat selbst zwar nichts mit den Installationen, aber sehr viel mit Kabakows kritischem Blick auf die jüngere Geschichte Russlands zu tun, mit deren verschiedenen Stadien zwischen Armut in der Propaganda, Tauwetter nach dem Tod Stalins und der Perestrojka. Als Malerei ist durchgehend ein Weiß ganzflächig angelegt, das sich zwischen Wolken und Schneedecke bewegt und splitterartig Durchblicke auf realistische Darstellungen bereithält. Innerhalb der Folge der Bilder, die 2004-2006 entstanden sind, ist eine Entwicklung auszumachen, mit denen der Bedeutungshorizont der weißen Flächen einhergeht, die schließlich gegenstandsfrei zu lesen sind und zu guter Letzt den Blick auf eine arkadische, paradiesische Landschaft zu bieten haben.
Mit Rachel Whiteread stellt zeitgleich weitere Künstlerprominenz außerhalb der kulturellen “Hochburgen” in Nordrhein-Westfalen aus, in Duisburg, anlässlich des August Seeling Preises des Freundeskreises des Wilhelm Lehmbruck-Museums. Auch sie arbeitet im Bereich der zeitgenössischen Plastik, auch sie thematisiert die soziale Wirklichkeit – und geht doch von ganz anderen Prämissen als Kabakow aus. Rachel Whiteread wurde 1963 geboren, sie lebt in London; 1993 hat sie den Turner-Preis erhalten, sie war zur documenta eingeladen und hat den britischen Pavillon auf der Biennale in Venedig bespielt. Aber ihre Werke sind doch eher spröde. Whiteread nimmt mit unterschiedlichen Materialien (Wachs, Kautschuk, Gips etc.) Abgüsse in der verlorenen Form vor, wobei das Negativ die Plastik ist. Die Gegenstände sind alltäglich, profane Gebrauchsgegenstände wie man sie auf Müllhalden finden könnte, Reste von Behausung. Ihre Abnahmen gelingen so präzise, dass die Gebrauchsspuren einer Matratze oder einer Haustür sichtbar bleiben. Mit einem Mal wird jede Naht bedeutungsvoll, und mittels der Öffnungen und des Volumens des Gegenstands sind noch anthropomorphe Lesarten möglich. Die Ausstellung in Duisburg ist klein, sehr überschaubar – aber den Werken von Rachel Whiteread tut dies keinen Abbruch, im Gegenteil, in ihrer Feinheit und ihrer bedeutungsreichen Brisanz erschließen sie sich um so klarer.
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