Ein utopischer Anspruch steht hinter Ives‘ „Universe Symphony“: der gigantische Versuch, die Entstehung unseres Planeten, die Entwicklung allen Lebens hin zur Transzendenz in Musik zu fassen.
Ives arbeitet zwischen 1911 und 1928 phasenweise an seinem kompositorischen Großprojekt, das von mehreren Orchestern gleichzeitig in der freien Natur aufgeführt werden sollte, in Tälern, auf Hügeln und Bergen. Thematisch bestimmen drei Abschnitte das Werk: Die Vergangenheit – die Erschaffung des Wassers und der Berge. Die Gegenwart – die Erde, Evolution der Natur und der Menschheit. Die Zukunft – der Aufstieg zur Spiritualität. In seinen umfangreichen Notizen beschreibt der Komponist seine Absicht: Er will den geheimnisvollen Schöpfungsakt alles Existierenden durch Gott und den Menschen zum Klingen bringen, den Ursprung allen Lebens und die alles Irdische und Überirdische durchdringende göttliche Kraft erfahrbar machen. Musik als Ausdruck des ewigen Puls alles Lebendigen, in der die Erdumlaufbahn Klang wird, die Gebirgszüge, Schluchten, gezackte Felskanten – eine künstlerische Utopie voller Emphase, die er nie vollenden wird, sondern immer wieder neu entwirft, ein work-in-progress ohne Abschluss wie die Evolution selbst.
Ives setzte sich Zeit seines Lebens mit der Philosophie des Transzendentalismus von Ralph Waldo Emerson auseinander, der mit seinen Texten die Grundlage für Ives Weltanschauung legt, dass der Mensch durch Introspektion unmittelbar am Göttlichen teilhaben kann. Die Universe Symphony sollte der Höhepunkt dieser Auseinandersetzung werden in einer noch nie zuvor gehörten Musik. Als Notenmaterial liegen jedoch lediglich Fragmente und Skizzen vor, die Ives mehr als eine Meditation in Tönen und weniger als Musik an sich verstand. Trotz der Kürze sprengt das gut halbstündige Werk die Grenzen herkömmlicher Aufführungstradition. Mehrere Dirigenten sind notwendig, um neun Orchestergruppen zu koordinieren: Das „Life Pulse“-Prelude ist mit einem Schlagzeugensemble von 19 (!) Spielern und einer Piccoloflöte besetzt, wobei jeder der Spieler sein eigenes Metrum und Tempo hat und alle acht Sekunden die Metren zusammenfallen. Darunter liegt der „Erdakkord“ der Kontrabässe und Celli bis schließlich die übrigen Orchestergruppen hinzutreten und die weitere Entwicklung nachzeichnen. Für die Herausbildung der Felsen aus dem Wasser besetzt Ives klangmalerisch ein Blasorchester mit tiefen Holzbläsern und Blech, für das „Himmelsorchester“ zwei Streichorchester und vier ähnlich besetzte Instrumentalensembles aus hohen Holzbläsern, hohen Streichern, Schlagzeug und Tasteninstrumenten. Ives‘ Musik wird hier zur klingenden spirituellen Utopie, Schöpfung, Geschöpfe und Schöpfer werden eins.
Man darf gespannt sein, zu welchem szenischen Ansatz das Produktionsteam der Ruhrtriennale findet, das aufgrund der Kürze der Symphonie andere Werke des Komponisten integrieren wird. Zu der rein instrumentalen Ebene kommt eine darstellerische hinzu, so dass die Aktion der SchauspielerInnen, TänzerInnen und SängerInnen in ein Spannungsfeld zu dem kosmologischen Ansatz von Ives tritt. Die Zeitebenen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, von Erinnern, gegenwärtiger Erfahrung und Erfinden vermischen sich. Man darf gespannt sein auf dieses Experiment: Vorhang auf, alle Fragen offen!
Wo zu sehen in NRW?
Ruhrtriennale: Jahrhunderthalle Bochum | 19., 22.-25.8. je 20.30 Uhr | 0221 28 02 10
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