Die Kirche lebt davon, dass die Gläubigen ihr vertrauen. Sie lebt davon, eine moralische Instanz zu sein. So trifft es sie besonders hart, dass ihre Glaubwürdigkeit durch die Verfehlungen einiger – beziehungsweise vieler – schwarzer Schafe beschädigt wurde. Mitglieder der Kirche, die sich nichts zu Schulden kommen lassen haben, sind nun vor die Aufgabe gestellt, für den guten Ruf der Kirche zu arbeiten und gegen strukturelle Probleme zu kämpfen, die die massenhaften Missbrauchsfälle offenbar ermöglicht haben – auch in Wuppertal.
„Mich macht es enorm wütend“, sagt Daniela Löhr, Gemeindereferentin und Präventionsfachkraft in der Elberfelder Gemeinde St. Laurentius. „Wir haben eine enorme Verantwortung, wenn wir mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben“, sagt sie. Besonders schlimm sei es zudem, wenn man den Missbrauchsopfern nicht glaube, nicht sehen wolle und versuche, Geschehnisse herunterzuspielen: „Durch das Vertuschen ist es doppelter Missbrauch“, so Löhr. In St. Laurentius stellt man sich seit langem der Thematik und führt seit etwa acht Jahren Präventionsschulungen durch, verpflichtend für alle in der Gemeinde, die mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten. Mehr als 200 Personen seien so inzwischen geschult worden. Es gehe dabei nicht darum, einzelne Personen zu verdächtigen, sondern darum, dass mehr Achtsamkeit im Umgang mit Kindern und Jugendlichen an den Tag gelegt werde: „Alle Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen werden geschult im Bereich von sexuellem Missbrauch. Wir gehen transparent damit um und machen deutlich, dass unsere Gemeinde sich mit dem Thema beschäftigt hat und bei uns nichts unter den Teppich gekehrt wird – hoffentlich nicht“.
Nachdem das Erzbistum Köln von allen Pfarreien gefordert hatte, ein schriftliches Präventionskonzept vorzulegen, war es für die Gemeinde, aufgrund der langjährigen Praxis vergleichsweise einfach, diese Aufgabe zu bewältigen: Mit der Hilfe von vielen Freiwilligen sei ein gemeinsamer Kodex formuliert worden: „Das war richtig, richtig gut, dass das so partizipativ angelegt war und so viele Leute daran mitgearbeitet haben“, bewertet Löhr. Dr. Bruno Kurth, Stadtdechant und Pfarrer in Sankt Laurentius, freut sich darüber, wie gut es geklappt hat: „Wir sind die erste Kirchengemeinde im ganzen Bistum Köln, die dieses Präventionskonzept erstellt und abgegeben hat“. Auch er findet die Präventionsarbeit „sehr wichtig und wertvoll“. Man habe sich der Verantwortung gestellt, und es habe ein Prozess begonnen, der vor zehn Jahren noch gar kein Thema gewesen sei.
Inhaltlich geht es in dem Präventionskonzept beispielsweise um Fragen der Intimsphäre oder von Nähe und Distanz. Es heißt dort beispielsweise, dass die „Initiative vom Jugendlichen ausgehen“ muss, wenn es etwa um eine Umarmung zum Abschied geht. Löhr sagt, es sei dabei allerdings auch falsch, jegliche Nähe pauschal zu verteufeln: „Wenn ein Kind auf einer Ferienfreizeit da sitzt und seit drei Tagen vor Heimweh weint und bittet, in den Arm genommen zu werden, dann sag ich doch nicht ‚Weg von mir, Präventionskonzept‘.“
Stadtdechant Kurth findet, dass sich die Kirche inzwischen in eine richtige Richtung bewege und auf diesem Weg weiter gehen müsse: „Ich finde, die Kirche muss die gesellschaftliche Wirklichkeit und das Leben der Menschen wahrnehmen. Und ich finde, sie muss sich immer wieder erneuern – im Geist des Evangeliums.“ Dass der Weg noch weit ist, ist ihm bewusst: „Es wird lange, lange dauern, das zerstörte Vertrauen wieder aufzubauen.“
Papst Franziska - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema
Aktiv im Thema
frauenbund.de | Frauenbewegungen in der Kirche sind nicht neu. Der KDFB wurde 1903 in Köln gegründet. 100 Jahre später formulierte er Forderungen und Leitbild im „Kölner Anstoß“
mariazweipunktnull.de | Die Initiative von Frauen setzt sich für die Abschaffung männerbündischer Machtstrukturen in der römisch-katholischen Kirche ein.
kfd-bundesverband.de | Der größte Frauenverband in der katholischen Kirche.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Hier und Jetzt
Intro - Papst Franziska
Zölibat oder Ejakulat
Die Leiden des heiligen Johannes
Wie wäre es mal mit einer Päpstin?
Zeit für Reformen im Männerclub
„Keine Rücksicht auf die Ewiggestrigen“
Christine Mayr-Lumetzberger über katholische Priesterinnen
Die Macht der Filme
Millionen schockiert über Missbrauch – Europa-Vorbild: Polen
Ankommen auch im Beruf
Teil 1: Lokale Initiativen – Bildungsangebote für Geflüchtete und Zugewanderte bei der GESA
Ein neues Leben aufbauen
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Verein Mosaik Köln Mülheim e.V. arbeitet mit und für Geflüchtete
Bildung für Benachteiligte
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe in Bochum
Zivilcourage altert nicht
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Verein zur Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal
Spenden ohne Umweg
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Netzwerk 2. Hand Köln organisiert Sachspenden vor Ort
Lebendige Denkmäler
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Route Industriekultur als Brücke zwischen Gestern und Heute
Zusammen und gegeneinander
Teil 1: Lokale Initiativen – Spieletreffs in Wuppertal
Jenseits der Frauenrolle
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Spieldesignerin und Label-Gründerin Mel Taylor aus Köln
Immer in Bewegung
Teil 3: Lokale Initiativen – Sportangebote für Jugendliche im Open Space in Bochum
Verbunden über Grenzen
Teil 1: Lokale Initiativen – Wuppertal und seine europäischen Partnerstädte
Zu Gast in Europas Hauptstadt
Teil 2: Lokale Initiativen – Die europäische Idee in Studium und Forschung an der Kölner Universität
Europa verstehen
Teil 3: Lokale Initiativen – Initiative Ruhrpott für Europa spricht mit Jugendlichen über Politik
Wasser für Generationen
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Wupperverband vernetzt Maßnahmen und Akteure für den Hochwasserschutz
Was keiner haben will
Teil 2: Lokale Initiativen – Das Kölner Unternehmen Plastic Fischer entsorgt Plastik aus Flüssen
Korallensterben hautnah
Teil 3: Lokale Initiativen – Meeresschutz im Tierpark und Fossilium Bochum
Häusliche Gewalt ist nicht privat
Teil 1: Lokale Initiativen – Frauen helfen Frauen e.V. und das Wuppertaler Frauenhaus
Hilfe nach dem Schock
Teil 2: Lokale Initiativen – Opferschutz bei der Kölner Polizei
Orientierung im Hilfesystem
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Opferschutzorganisation Weisser Ring in Bochum
Ein neues Zuhause
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Wuppertaler Tierschutzverein Pechpfoten
Forschung muss nicht quälen
Teil 2: Lokale Initiativen – Ärzte gegen Tierversuche e.V. argumentiert wissenschaftlich gegen Tierversuche