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Martin Wittmaier
Foto: privat

„Die Anlage muss zum Abfall kommen“

31. Juli 2019

Umweltexperte Martin Wittmaier über Müllvermeidung im Meer

engels: Herr Wittmaier, wie kann Ihr Projekt KuWert – Kunststoff und Wertschöpfung – die Welt besser machen?
Martin Wittmaier: Viele afrikanische Länder bringen erhebliche Mengen an Kunststoff in die Umwelt und tragen sie am Ende über die Küstenregionen ins Meer ein. Unsere Idee war es, dieses Müllaufkommen zu bündeln. Wir richten uns mit dem Projekt KuWert an Küstenländer des westlichen Afrikas, angefangen oben in Mauretanien bis unten nach Ghana.Werthaltige Kunststoffabfälle sollen vor Ort aufbereitet werden. Im Umkehrschluss landen diese dann nicht mehr in der Umwelt. Daraus werden dann hochwertige Recyclate hergestellt und entweder vor Ort, wenn es da einen Bedarf gibt, oder eben im Weltmarkt untergebracht. Das Konzept lässt sich natürlich auch auf andere Regionen übertragen.

Warum gerade eine Müllrecyclinganlage auf See?
Wir hätten auch sagen können, wir bauen in einem dieser Länder zentral eine Aufbereitungsanlage und die Kunststoffe aus den anderen Ländern, die werthaltig sind, kommen dorthin. Aber Transporte in Afrika sind schwierig. Dazu kommt, dass die Straßenverhältnisse dort nicht so gut sind. Ein Bahnsystem, so wie wir es aus Europa kennen, gibt es dort nicht. Also sind Transporte teuer und aufwendig. Vor diesem Hintergrund haben wir uns dazu entschieden: Die Anlage muss zum Abfall kommen.

Müll wird in Afrika oftmals unter freiem Himmel verbrannt. Kritisch, auch in puncto CO2.
Das macht natürlich ganz üble Emissionen. Sie haben bei diesem Vorgang immer eine unvollständige Verbrennung. Dabei entstehen Pyrolysegase. Das sollte mit Sicherheit nicht das Mittel der Wahl sein, denn es ist erstens nicht gut für die Umwelt und zweitens für die Menschen. Wenn Sie neben solch’ einer Tonne stehen, kann es für Sie durchaus lebensverkürzend sein.

Wie sieht die Situation vor Ort aus?
Das, was heute passiert: Häufig vermüllen die Städte und Ortschaften und insbesondere in der Regenzeit wird der ganze Abfall direkt oder über die Flüsse dann ins Meer gespült.

Wie nachhaltig ist das Projekt?
Wir haben die Vermeidung von Kunststoffeinträgen in die Umwelt, genauso wie die von CO2-Emissionen und wir schaffen gleichzeitig Jobs vor Ort. Somit könnten auch Perspektiven für eine begrenzte Anzahl von Personen entstehen. Geplant ist, für etwa 10 Millionen Euro Kunststoffabfälle an diesen Küsten anzukaufen. Wenn wir davon ausgehen, dass 10.000 Euro in diesen Ländern einen Vollerwerbsarbeitsplatz begründen, von dem man auch leben kann, dann könnten wir damit etwa 1000 Jobs schaffen. Die Kunststoffaufbereitung selbst lässt auch noch einmal zusätzlich 250 Arbeitsplätze entstehen. Das Projekt hat gleichwohl eine Klimarelevanz. Denn Kunststoffe sind im Grunde genommen festes Erdöl. Das heißt, wenn ich ihn produzieren will, sind damit CO2-Emissionen verbunden. Wenn ich ihn jedoch wieder verwende, dann muss ich ihn abhängig von der Kunststoffart praktisch nur erwärmen und kann ihn direkt weiter verarbeiten - bei Polyethylen oder Polypropylen ist das bspw. so. So können wieder neue Produkte entstehen. Das spart CO2 in erheblichen Maße. In der Literatur wird von einem bis drei Kilo CO2 pro einem Kilo recycelten Kunststoff als Einsparung ausgegangen. Wir müssen sehen, dass wir diese Wertschöpfungsketten im Bereich des Kunststoffrecyclings schließen und Technologie und Know-How nach Afrika runter bringen.

Es geht auch darum, ein Bewusstsein zu schaffen?
Genau. Wenn jetzt einer vor Ort sieht: Wenn ich nicht die dreckigen Flaschen von der Deponie sammle, sondern sauberes Material aus dem Restaurant oder dem Haushalt, dann bekomme ich viel, viel mehr Geld dafür. Ich kann es dann an einer Ankaufstelle verkaufen und die Kunststoffe werden auf dem Schiff aufbereitet. Mit den richtigen Inputstoffen erhält man so ein Recyclat, das man sehr hochpreisig verkaufen kann. Wenn die Kunststoffe verunreinigt und nicht sortenrein vorliegen, dann geht der Preis deutlich runter. Hat man aber hochwertiges Material, dass man einsetzt, dann gibt es eine erhebliche Wertschöpfung. Ich bin sicher, dass initiiert vor Ort zusätzliche Aktivitäten im Bereich des Kunststoffrecyclings.

Was braucht es zusätzlich noch?
Natürlich ist auch die Industrie gefordert. Je mehr Recyclate wir erzeugen, desto mehr muss die Industrie auch bereit sein, Recyclate einzusetzen. Der Gesetzgeber wird gerade aktiv mit einer neuen EU-Verordnung, die vorschreibt, ab 2025 25 Prozent der PET-Flaschen aus Recyclaten zu produzieren. D. h. es wird eine enorm hohe Nachfrage z. B. nach PET-Recyclaten geben, weil diese Mengen an Recyclaten bislang am Markt gar nicht verfügbar sind. Das ist aus ökologischer Sicht sinnvoll und wenn man Kunststoff in wenig entwickelten Ländern sammelt, auch aus sozio-ökonomischer Sicht vorteilhaft.

Was kritisieren Sie an ähnlichen Projekten wie etwa Seabin oder The Ocean Cleanup?
Wer kann etwas dagegen haben, wenn jemand Kunststoffabfälle aus dem Meer einsammeln will? Das ist eine ehrenhafte Idee und es ist gut, wenn sich Leute darum kümmern. Doch ich habe Zweifel, dass das, was aus dem Meer gefischt wird, wieder recycelt werden kann.Wenn man keine werthaltigen Stoffe einsammelt, sondern verunreinigte Kunststoff-Schnipsel aus dem Meer, dann wird es nicht möglich sein, diese zu recyceln. Das ist ein riesiges Brett, deutlich dicker als unseres. Denn hierbei ist die Wirtschaftlichkeit nicht gegeben und Unsummen an Geld müssen zusätzlich aufgewendet werden, um den Müll im Meer zu sammeln und in einem zweiten Schritt an Land zu entsorgen.

Wie weit ist Ihr Projekt?
Wir haben die technische Machbarkeit an einem Entwurf von einer Aufbereitungsanlage integriert auf einem Schiff unter Berücksichtigung der speziellen Rahmenbedingungen des westlichen Afrikas nachgewiesen. Anhand von Planrechnungen konnten wir zeigen, dass sich so ein Schiff monetär selbst tragen kann, vorausgesetzt die Sammlung hochwertiger Kunststoffe vor Ort gelingt. Im Augenblick sind wir dabei, das Projekt in den Zielländern politisch abzusichern. Ich bin gerade mit dem Botschafter von Sierra Leone im Land gewesen, wir haben inzwischen Absichtserklärungen vom Transport-, vom Fischerei- und vom Umweltministerium. Es stehen noch Gespräche mit dem Botschafter von Liberia, dem des Senegal und aus Ghana an. Sobald man sagen kann, wir sind willkommen, braucht es dann noch einen Reeder, der dafür sorgt, dass das Schiff sich irgendwie bewegt, einen Abfallwirtschaftler, der diese Anlage betreibt und die Finanzierung muss stehen. Wenn alles gut geht, könnte man tatsächlich zwischen 2023 und 2025 so ein Schiff haben.


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Interview: Nina Hensch

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