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Der amerikanische Essayist Eliot Weinberger
Foto: Nina Subin

Die Welt als delikate Speise

19. Oktober 2011

Der Amerikaner Eliot Weinberger schreibt faszinierende Essays – Literatur in NRW 10/11

Der Titel kündigt „Orangen! Erdnüsse!“ an, aber es ist noch viel mehr in diesem Buch enthalten. Man kann es auf einer beliebigen Seite aufschlagen und findet eine Beschreibung der „T’ang“-Dynastie, die China über 300 Jahre in ein Land der Wunder verwandelte, in dem der Tee, die Bibliotheken, die Gärten oder die Dichtkunst entdeckt wurden und ungezählte Menschen in wilden Bürgerkriegen starben. Ein anderes Kapitel ist den Lügen gewidmet, aus denen George W. Bush seine Autobiographie zimmerte. Eliot Weinberger entlarvt sie mit gebremster Wut in der Stimme. Weinberger verliert nie seine Haltung, das heißt: Sein Instrumentarium, mit dem er als Essayist die Welt betrachtet, sie analysiert und sie uns in elegant formulierten Texten, gleich einer delikaten Speise, serviert.

Peter Torberg hat diese Texte unprätentiös ins Deutsche übertragen. So kann man staunen über den wahnsinnigen chinesischen Dichter Gu Cheng, der seine Frau mit einer Axt erschlug und in China wie ein Pop-Star verehrt wurde. Weinberger erzählt uns von James Laughlin, dem Vater der modernen amerikanischen Literatur, der aus einer stinkreichen Industriellenfamilie stammte, in der der Vater die Kinder mit ins Bordell nahm, wenn gerade kein Babysitter im Haus war. Laughlin war ein Verleger mit genialem Blick für Talente, von Dylan Thomas bis zu Faulkner, Nabokov, Neruda, Sartre, Mishima und einer endlosen Liste von Autoren, die heute zu den Patronatsgestalten der Moderne zählen, brachte er ein Meisterwerk nach dem anderen auf den Markt. Ein Charakterkopf, der sich mit seinen Autoren mitunter bis aufs Messer zerstritt, die Konflikte mit Henry Miller und Paul Bowles gingen in die Literaturgeschichte ein.

Packend liest sich aber auch Weinbergers Essay über Susan Sontag, Amerikas bedeutendster Intellektuellen der zweiten Jahrhunderthälfte. Weinberger zeigt, dass sie so etwa die einzige Person des öffentlichen Lebens war, die am 12. September 2001 klaren Kopf behielt und den USA sagte, was Sache war. Dann beginnt Weinberger jedoch, den Stil, in dem Sontag schrieb und dachte, fein säuberlich zu demontieren. Klug schaut er auf die Tricks, mit denen sie sich ihre spezielle mediale Aura zulegte. Vor kleinen Gemeinheiten scheut Weinberger beim Blick auf die Person Susan Sontag freilich auch nicht zurück. Analytisch und sinnlich zugleich geht Weinberger an seine Sujets heran. Einen wunderbaren Text über den Fotografen Mitch Epstein und den Begriff des Exotischen bietet er, faszinierend auch sein Kartographieren der Farbe Blau. Das alles liest sich so köstlich und überraschend, dass man durchaus an den spritzigen Geschmack frischer Orangen oder das pikante Aroma gerösteter Erdnüsse denken muss. Jedenfalls ein Buch, das sich als äußerst nahrhaft für kritische Geister entpuppt.

Eliot Weinberger: Orangen! Erdnüsse! | Deutsch von Peter Torberg | Berenberg Verlag | 200 S., 20 €.

Thomas Linden

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