Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
11 12 13 14 15 16 17
18 19 20 21 22 23 24

12.575 Beiträge zu
3.805 Filmen im Forum

Colonel Chabert
Illustration von Édouard Toudouze (1902)

Draußen vor der Türe

30. Mai 2018

Hermann von Waltershausens Oper „Oberst Chabert“ – Opernzeit 06/18

Hermann Wolfgang von Waltershausen greift auf die bekannte Novelle „Comtesse à deux maris“, auch veröffentlicht unter dem Titel „Le Comte Chabert“ oder „La Transaction“ von Honoré de Balzac zurück. Der Autor stellt wie so oft in seiner comédie humaine auch hier einen ehrenvollen Charakter einem intriganten Gegenspieler und einer korrupten Gesellschaft gegenüber, woran die Hauptfigur letztendlich scheitert: Der siegreiche Feldherr Chabert wird in der Schlacht in Preußisch-Eylau schwer verletzt und scheintot begraben, jedoch kann er sich befreien und wird von einer Bäuerin gesund gepflegt. Als Bettler umherirrend kommt er ins Irrenhaus, weil er behauptet Oberst Chabert zu sein und alle ihn für verrückt halten. Er nimmt eine neue Identität an, gibt sich als Bettler Hyacinth aus und wird „geheilt“ entlassen. Nach zehn Jahren kehrt er nach Paris zurück und gibt sich als Oberst Chabert zu erkennen. Seine Frau, inzwischen mit einem Grafen verheiratet und Mutter zweier Kinder, bezichtigt ihn des Betruges und bekennt sich auch dann nicht zu ihm, als er ihr seine wahre Identität beweisen kann. Chabert erkennt seine Lebenslüge, die er einst für Liebe hielt. Angeekelt von Falschheit und Korruption verzichtet er auf seinen Namen und sein Vermögen, gibt vor, ein Hochstapler zu sein und schlägt sich am Rande der Gesellschaft weiter als Bettler durch. Viele Jahre später stirbt er im Armenasyl.

Von Waltershausen, in der Nachfolge Richard Wagners auch sein eigener Librettist, ändert die Handlung im Sinne einer finalen Operndramatik ab: Chabert verzichtet in einem Abschiedsbrief auf seine Ansprüche und erschießt sich, seine Frau erkennt ihre Schuld und vergiftet sich. Somit lenkt Waltershausen im Gegensatz zur literarischen Vorlage den Blick im dritten Akt auch verstärkt auf den inneren Konflikt von Chaberts junger Frau und reduziert das Geschehen auf sechs Personen ohne Chor. Die spätromantische Musiksprache ist symphonisch für großes Orchester gesetzt, doch wird das Parlando der Singstimmen nie zugedeckt. Die Leitmotivik Wagners findet in der Komposition ihre Fortsetzung ebenso wie geschärfte Dissonanzen an der Schwelle zur Moderne, ohne jedoch die Grenzen der Tonalität aufzuheben. Manche Klänge erinnern an Richard Strauss, obwohl dies ein Trugschluss ist, da die vermeintlich Strauss´schen Klangeindrücke sich erst in dessen Werken finden, die nach „Oberst Chabert“ entstanden sind.

Die hochemotionale Musik fand beim Publikum bei der Uraufführung im Januar 1912 in Frankfurt sofort begeisterte Zustimmung und trat einen internationalen Siegeszug an. Innerhalb kürzester Zeit war die Oper in Berlin, München, Laibach, Straßburg, Stockholm, Wien, Basel, Brünn, Budapest, London, Prag und Riga zu sehen. Waltershausen wurde bis zur NS-Machtergreifung zu einem gefragten Komponisten. Obwohl politisch rechts-konservativ und Verfechter der deutschen Musiktradition lösten ihn die neuen Herrscher nach 1933 als Direktor der Münchner Akademie für Tonkunst durch den linientreuen Max von Schillings ab – eine späte Rache Hitlers, nachdem von Waltershausen schon 1926 in einen heftigen politischen Disput mit dem späteren Diktator geraten war.

Wo zu sehen in NRW? Oper Bonn | 17.6.(P) 18 Uhr, 21., 27.6., 5., 13.7. je 19.30 Uhr | 0228 77 80 08

Kerstin Maria Pöhler

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Gladiator II

Lesen Sie dazu auch:

Besiegt Vernunft die Leidenschaft?
„Orlando“ an der Oper Köln – Oper in NRW 11/24

Unerwartet Kaiserin
„Der Kreidekreis“ in Düsseldorf – Oper in NRW 11/24

Oper trifft heute mal Jazz
Songs & Arien auf der Insel

Schäferwagen und Hexenhaus
„Hänsel und Gretel“ am Opernhaus Wuppertal – Auftritt 11/24

Ohne Firlefanz
Premiere von „Salome“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 10/24

Horror und Burleske
Die Spielzeit 24/25 am Gelsenkirchener MiR – Oper in NRW 07/24

Opern-Vielfalt am Rhein
„Nabucco“ eröffnet in Düsseldorf die Spielzeit 2024/25 – Oper in NRW 06/24

„Kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit“
Kapellmeister Hermes Helfricht über Werner Egks „Columbus“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 06/24

Welt ohne Liebe
„Lady Macbeth von Mzensk“ am Theater Hagen – Oper in NRW 05/24

Ethel Smyth und Arnold Schönberg verzahnt
„Erwartung / Der Wald“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 05/24

Die Gefahren der Liebe
„Die Krönung der Poppea“ an der Oper Köln – Oper in NRW 05/24

Absurde Südfrucht-Fabel
„Die Liebe zu den drei Orangen“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 04/24

Oper.

Hier erscheint die Aufforderung!