engels: Herr Schwarze, wie sind Sie zum Thema Umwelt und Nachhaltigkeit gekommen?
Reimund Schwarze: Der Begriff der Nachhaltigkeit kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft. Mein damaliger Professor, der selber auch Forstwirt war, war Anhänger der Konzeption der Nachhaltigkeit. Das hat mich zu diesem Themenkomplex gebracht. Von da ausgehend bin ich in die Volkswirtschaftslehre gegangen. Die mir ein noch weiteres Spektrum eröffnet hat – auch was die Idee der Nachhaltigkeit anbelangt.
Skeptiker argumentieren, der Klimawandel habe einen natürlichen Ursprung. Inwiefern trifft das zu?
Klimawandel gab es natürlich auch schon ohne den Menschen in den fast 5 Milliarden Jahren der Erdgeschichte. In dieser Zeit hat die Erde etliche Kalt- und Warmzyklen erlebt. Insofern muss man den Klimaskeptikern recht geben, dass der Klimawandel an sich nichts Neues ist. Ebenso ist der Treibhauseffekt eigentlich ein wünschenswertes Phänomen. Denn wir sind darauf angewiesen, dass ein Teil der Sonneneinstrahlung durch die Erdatmosphäre eingedämmt wird. Ansonsten wäre es für die meisten Lebewesen zu kalt. Wir wissen allerdings seit über 100 Jahren, durch den Physiker Arrhenius, dass zuviel CO2 in der Erdatmosphäre zu einem negativen Treibhauseffekt führt: Es wird zu warm. Der Mensch überproduziert CO2. Die starke Veränderung des Klimas in den letzten 150 Jahren haben wir zu 90 Prozent verschuldet. Die restlichen 10 Prozent sind natürliche Faktoren, wie die sich verändernde Sonneneinstrahlung, die wir nicht beeinflussen können.
Wer sind aktuell die größten CO2-Verursacher?
Aus meiner Sicht, und auch von Statistiken belegt: Kohle, Öl und, was die wenigsten wissen, Zement. Dieser macht 8% der CO2-Emission aus. Aber Spitzenreiter bleiben die fossilen Brennstoffe Kohle und Öl.
Im Rahmen der Klimakonferenz in Bonn gab auch Demonstrationen gegen den Kohleabbau. Denn Braunkohle-Ausstieg lässt noch auf sich warten.
Leider ist der Ausstieg aus der Braunkohle nicht nur in Deutschland ein Problem. In vielen Ländern erlebt die Braunkohle sogar eine Renaissance. Das Abschalten einiger Braunkohlewerke, wie das Umweltministerium es fordert, sollte in Deutschland eigentlich kein Problem sein. So käme man auch dem Ziel des Pariser Klima-Abkommens näher, bis 2020 rund 40% weniger CO2 zu verursachen. Das wäre allerdings nur ein Notnagel, der die Glaubwürdigkeit einiger politischer Akteure retten mag. Wichtig ist eigentlich, eine Lösung für den langfristigen Umstieg von der Braunkohle zu erneuerbaren Energien zu gewährleisten.
Gibt es erneuerbare Energien, die eine langfristige Alternative zu Braunkohle und Co bieten?
Ja, die gibt es. Bis zur Hälfte dieses Jahrhunderts wäre es theoretisch möglich, komplett auf erneuerbare Energiesysteme umzustellen. Dafür reicht aber nicht nur die Entscheidung zum Kohleausstieg. Es muss auch die Entscheidung getroffen werden, am System etwas zu ändern. Zum Beispiel Energiespeicher auszubauen, falls die Erneuerbaren durch natürliche Witterung nicht zur Verfügung stehen – oder Energie überproduziert wird. Es muss also eine Ertüchtigung unserer Stromversorgungsstruktur stattfinden, um langfristig auf erneuerbare Energien umsteigen zu können.
Das politische Klima scheint sich zu Ungunsten des Klimaschutzes gewandelt zu haben. Gibt es dennoch eine Chance, dass sich erneuerbare Energien durchsetzen?
Ich glaube, dass sich diese allein ökonomisch durchsetzen werden. Natürlich braucht es auch das Einlenken der Politik. Aber schon allein jetzt werden erneuerbaren Energien immer günstiger. Es macht also allein ökonomisch für Unternehmen gar keinen Sinn mehr, in Braunkohle zu investieren. In den USA sind die erneuerbaren Energien im letzten Jahr z.B. noch mal um 12% gewachsen – trotz Trump. Anhand wissenschaftlicher Prognosen ist klar, dass die Erneuerbaren kommen. Darauf vertraue ich.
Die größten CO2-Verursacher sind wirtschaftlich starke Länder. Sie sind dennoch zuversichtlich, dass der freie Markt das regeln wird?
Der freie Markt vielleicht nicht, aber eine ökologische Marktwirtschaft könnte dies leisten. Das ist eine Leitidee, die ich in der Jugend von meinem Professor übernommen habe. Da vertraue ich sehr stark auf die Marktkräfte. Ich denke, dass viele große Konzerne ihr Portfolio bereits nach einer ökologischen Marktwirtschaft umstrukturieren oder umstrukturiert haben. So nimmt aktuell zum Beispiel das Großunternehmen Bloomberg an der Klimakonferenz in Bonn teil. Das ist für mich schon ein positives Signal. Allerdings kann die Klimafrage nicht allein vom Markt gelöst werden.
Der Markt wird von der Nachfrage bestimmt. Damit ist auch der einzelne Konsument in der Verantwortung?
Richtig, auch die Bürger sind maßgeblich daran beteiligt die Nachfrage zu gestalten. Ohne deren Marktmacht wird es nicht funktionieren. Insofern kann eine Veränderung nur erfolgen, wenn auch die Kunden eine ökologischere Lebensweise wählen.
Welche positiven Nachrichten zum Klima können Sie uns mit auf den Weg geben?
Trotz dunkler, politischer Entwicklungen erstarken die erneuerbaren Energien. Auch in der Zivilbevölkerung wächst das Interesse am Thema Nachhaltigkeit stetig. Kennen Sie zum Beispiel das Lohas Magazin für Lifestyle, Health und Sustainability aus München? Das Heft beschäftigt sich mit gesundheitsorientierten und ökonomisch nachhaltigen Lebenskonzepten. Allein in Asien hat es mittlerweile eine Auflage von drei Millionen. Das zeigt, dass international schon viele Menschen bewusst einen nachhaltigen, ökologischen Lebensstil wählen. Dass sie zum Umdenken bereit sind, das finde ich eine sehr positive Nachricht.
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