Jeder Opernfreund hat schon mal etwas daraus gehört; die zentralen Duette und Arien stehen gerne mal auf den Programmen von Galaabenden. Und wer Glück hatte, hat Georges Bizets frühe „Perlenfischer“ auch schon einmal in Gänze konzertant zu hören bekommen. Den Dreiakter allerdings zu inszenieren, hat jahrzehntelang kaum ein Opernhaus für lohnend erachtet. Urteil: exotischer Kitsch. Welch Fehleinschätzung! Das Gelsenkirchener Musiktheater zeigt nun sehr eindrucksvoll, was sich daraus machen lässt.
Im blauen Licht, weichgezeichnet vom leichten Matt einer Klarsichtfolie, rudert sich der Taucher mit ausladenden Schwimmzügen scheinbar vom Schnürboden herab. Zur Ouvertüre wird daneben das Zitat eines Zeitzeugen der Perlentauch-Saison auf Ceylon im frühen 20. Jahrhundert eingeblendet, der von elenden Zuständen und bestialischem Gestank berichtet. Als der Vorhang aufgeht, reicht ein kleines Wölkchen aus der Nebelmaschine und man glaubt fast, es selber riechen zu können. Wie man Atmosphäre schafft, das weiß Regisseur Manuel Schmitt ganz offensichtlich. Mit Bernhard Siegl (Bühne) und Sophie Reble (Kostüme) hat er auch genau die richtigen Mitstreiter für ein Sozialdrama, zu dem er die Handlung modernisiert. Darin gibt es sogar eine Hommage an den Bergbau: Im Dorf der Fischer steht eine Art primitiver Förderturm mit Haspel und einem Schacht darunter. Obendrauf überragt die Muschel mit Perle als Symbol des Mammons die Kulisse. Das ist zwar streng genommen nicht logisch, funktioniert in seiner Symbolik aber gut.So sind die Fischer bei ihrer Arbeit auch nicht schwarz von Kohle sondern schlammgrau besudelt mit strahlend blauen Flecken im Yves-Klein-Farbton des berühmten Theaterfoyers – noch eine Hommage.
Warum die Fischer allerdings Zurga zu ihrem Anführer wählen, wird sogar logischer als im Libretto: Sie protestieren gegen ihre miesen Arbeitsbedingungen – und werden dafür prompt niedergeknüppelt. Um noch deutlicher zu machen, worum es ihm geht, lässt Schmitt ein Interview mit einer Mutter als Video einspielen, die ihren Sohn bei einem Fabrikbrand in Pakistan verloren hat. Dass dieser Einspieler nach der Pause noch eine Fortsetzung hat, ist etwas zu viel des gut Gemeinten, stört den Fluss der Oper aber auch nicht weiter.
Bei aller Sozialkritik, die durchaus nicht hinein konstruiert werden muss, steht doch die Dreiecks-Liebesgeschichte zwischen Leïla, Nadir und Zurga im Mittelpunkt. Mit Dongmin Lee und Stefan Cifolelli, die sich als Leïla und Nadir schließlich finden, gibt es in Gelsenkirchen ein echtes Traumpaar zu sehen wie hören. Beide verbindet eine lyrische Wärme und große Strahlkraft der Stimme. Und sie agieren als Bühnenpaar so natürlich, wie man es nur selten in der Oper erlebt. Lees Szenen mit Piotr Prochera als Zurga geraten deutlich hölzerner. Aber – wen wundert´s – Zurga wurde schließlich auch abserviert und ist reichlich sauer. Und das wird sehr wohl deutlich. Überhaupt ist Prochera mit seinem kernigen Bariton ein glaubhafter Anführertyp, der im ganz zentralen Duett mit seinem Nebenbuhler eine sehr gute Figur macht.
Eine Sternstunde in puncto Gesang und Darstellung hat auch der große, verstärkte Chor (Leitung: Alexander Eberle), der geradezu über sich hinauswächst. Der große Motivator hinter den musikalischen Spitzenleistungen ist Giuliano Betta, der bereits bei Nabucco am Gelsenkirchener Pult stand und auch dieses Mal mit feinem Klangzauber und packender Dramatik überzeugt.
„Perlenfischer“ | R: Manuel Schmitt | 17.2., 10., 24.3. je 18 Uhr | Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen | 0209 409 72 00
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