Freitag, 13. April: Das beschauliche Marl, direkt nordwestlich von Recklinghausen gelegen, ist bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert das Mekka der deutschen Fernsehindustrie. Keiner, der hierzulande im TV Rang und Namen hat, war im Laufe der Zeit nicht mindestens einmal hier zu Gast. Denn seit 54 Jahren werden in Marl einmal jährlich vom Grimme-Institut Preise für die besten Produktionen des Vorjahres vergeben, die in der Branche zu den renommiertesten schlechthin gehören. Unter den Preisträgern des Jahres 2018 konnte man eine Tendenz erkennen, die derzeit auch in der internationalen Fernsehlandschaft zu beobachten ist: Mehr und mehr sehenswerte Fernsehproduktionen entstehen für Streamingportale und Pay-TV-Sender. In der Wettbewerbssparte Fiktion fallen darunter in diesem Jahr drei der fünf ausgezeichneten Produktionen, die auch allesamt im Vorfeld schon ein großes Medienecho ausgelöst hatten und gerade bei jungen Zuschauern durch Weiterempfehlungen über soziale Kanäle ihre Popularität noch steigern konnten.
Der von TNT Serie produzierte und im Mai 2017 erstausgestrahlte Sechsteiler „4 Blocks“ wurde mit Grimme-Preisen für Regisseur Marvin Kren und die Hauptdarsteller Maryam Zaree und Kida Khodr Ramadan ausgezeichnet. Letzterer spielt darin das in Berlin-Neukölln ansässige Oberhaupt eines libanesischen Mafia-Clans, das aus der organisierten Kriminalität aussteigen will und dabei sowohl durch deutsche Bürokratie als auch die eigene Familie Steine in den Weg gelegt bekommt. Ramadan schätzt den Mut, der gerade durch Pay-TV-Sender bei der Verfilmung von Genrestoffen derzeit bewiesen wird und sieht darin die Zukunft des deutschsprachigen Fernsehens. Er selbst ist froh, dass er mittlerweile deutlich facettenreichere Figuren spielen darf als noch zu Beginn seiner Schauspielerkarriere: „Ich fand einige Drehbücher früher nicht sonderlich gut, habe die Projekte aber trotzdem gemacht, um Leistung zu zeigen und das Beste daraus zu machen. Viele dieser Rollen haben nicht meinem Charakter und meiner Persönlichkeit entsprochen. Inzwischen hat die Branche verstanden, für welche Rollen man mich besser einsetzen kann“, erläuterte der Schauspieler während des Presseempfangs am Nachmittag.
Große Wellen hat auch bereits „Babylon Berlin“ geschlagen, eine im Berlin der 1920er Jahre angesiedelte Mammutproduktion, die mit Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten von gleich drei renommierten Regisseuren gemeinsam aus der Taufe gehoben wurde. Der Lohn hierfür waren vierzehn Grimme-Preise, die auch auf Schnitt, Szenenbild, Kostüm, Musik und die Darsteller Volker Bruch, Peter Kurth und Liv Lisa Fries entfielen. Die sechzehn 45minütigen Episoden der ersten beiden Staffeln wurden im Oktober 2017 auf SKY ausgestrahlt, Ende dieses Jahres steht nun die öffentlich-rechtliche TV-Premiere im Ersten an, da ARD Degeto ebenfalls an der Produktion beteiligt war. Nachwuchsschauspielerin Liv Lisa Fries weiß nicht, ob sie auf den dann vermutlich noch zunehmenden Hype um die Serie vorbereitet ist: „Ich werde schon jetzt deutlich häufiger auf der Straße erkannt als früher. Ich hoffe natürlich, dass sich die Serie dann noch viel mehr Menschen anschauen werden.“ Die Dreharbeiten mit drei solch unterschiedlichen Regisseuren gestalteten sich für Fries aber als überaus angenehm. In Blöcken wurde mit einem nach dem anderen gedreht. „Mit Tom Tykwer wurde alles im Vorfeld sehr genau besprochen, bei Achim von Borries hatte ich sehr viel Raum und durfte vieles einfach machen, und Henk Handloegten ging sehr spielerisch an alles heran. Es ist mit allen dreien eine unglaublich große Freude zu arbeiten“, so Fries weiter.
Eine reine ZDF-Produktion ist der Zweiteiler „Landgericht – Geschichte einer Familie“, die mit fünf Grimme-Preisen geehrt wurde. Für Hauptdarsteller Ronald Zehrfeld ist es nach seinen Auszeichnungen im Jahr 2011 für „Im Angesicht des Verbrechens“ und 2014 für „Mord in Eberswalde“ bereits der dritte Grimme-Preis. Für den Schauspieler zählt dieser Preis nach wie vor zu den wichtigsten seiner Branche, zumal er die Arbeit des Grimme-Instituts sehr schätzt, das insbesondere Arbeiten auszeichnet, die ansonsten auf dem freien Markt kaum eine Chance hätten. Auf dem Presseempfang sagte Ronald Zehrfeld: „Es hat sich in der letzten Zeit im Fernsehbereich eine Menge getan, und ich bin sehr glücklich, dass ich genau in dieser Zeit in einem Alter bin, in dem ich viel arbeiten und wirken darf. Ich begrüße die aktuelle Entwicklung, die mit einer Öffnung des Marktes hin zu Pay-TV und Streamingdiensten einhergeht. Man spürt hier einen frischen Wind, weil mehr gewagt wird und Themen in einer Konsequenz angegangen werden, die ich mir auch früher schon gewünscht hätte. So kann es gerne weitergehen!“
Übersicht aller ausgezeichneten Produktionen 2018
Wettbewerb Fiktion
4 Blocks (TNT Serie)
Babylon Berlin (ARD Degeto/Sky)
Dark (Netflix)
Landgericht - Geschichte einer Familie (ZDF)
Zuckersand (BR/ARD Degeto/MDR)
Wettbewerb Information & Kultur
Ab 18! Du warst mein Leben (ZDF/3sat)
Alles gut - Ankommen in Deutschland (NDR/SWR)
Cahier Africain (ZDF/3sat)
Sewol - Die gelbe Zeit (BR)
Volker Steinhoff, Sven Lohmann und Dietmar Schiffermüller stellvertretend für die Redaktionen für die besondere journalistische Leistung ihrer Berichterstattung zu den Ereignissen des G20-Gipfels (NDR)
Wettbewerb Unterhaltung
Circus HalliGalli #GoslingGate (ProSieben)
Eier aus Stahl - Max Giesinger und die deutsche Industriemusik aus dem Neo Magazin Royale (ZDF/ZDFneo)
Kroymann (RB)
Wettbewerb Kinder & Jugend
5vor12 (BR)
Germania (ZDF/funk)
Publikumspreis der Marler Gruppe
Eine unerhörte Frau (ZDF/ARTE)
Besondere Ehrung des Deutschen Volkshochschul-Verbandes
Inge von Bönninghausen, Gert Scobel und Armin Wolf
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Göttliche Perspektiven
Zwischen Bildungsdschihad und digitaler Verantwortung: Grimme Online Award – Spezial 07/17
Preisträger der nächsten Generation
Verleihung der Adolf-Grimme-Preise 2016 in Marl – Foyer 04/16
„Etwas, das lebt, atmet und nicht nur ein Text ist“
Regisseur Hans Steinbichler über seine Verfilmung „Das Tagebuch der Anne Frank“ – Gespräch zum Film 03/16
„,Zweite Chance‘ ist noch finsterer als ‚Game of Thrones‘“
Nikolaj Coster-Waldau über „Zweite Chance“, seine Träume und die Hitserie „Game of Thrones“ – Roter Teppich 05/15
Herumalbern mit einem seriösen Preis
Verleihung der Adolf-Grimme-Preise 2015 in Marl – Foyer 03/15
Hagener Bühne für den Filmnachwuchs
„Eat My Shorts“ in der Stadthalle Hagen – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Kölner Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Sieben Spitzenprämien-Gewinner
Kinoprogrammpreis-Verleihung in der Wolkenburg – Foyer 11/23
„Wir müssen begreifen, wozu wir fähig sind“
NRW-Premiere „Die Mittagsfrau“ im Kölner Cinenova – Foyer 10/23
Mysteriöses auf schottischem Landsitz
„Der Pfau“ im Cinedom – Foyer 03/23
Alle Farben der Welt
37. Teddy-Award-Verleihung bei der 73. Berlinale – Foyer 02/23
Drei NRW-Filme im Berlinale-Wettbewerb
20. NRW-Empfang im Rahmen der 73. Berlinale – Foyer 02/23
Hochwertiges deutsches Filmschaffen
Verleihung des Preises der Deutschen Filmkritik 2022 auf der Berlinale – Foyer 02/23
Endlich wieder gemeinsam feiern
Sommer-Branchentreff 2022 in der Wolkenburg – Foyer 06/22
Star mit großem Einfühlungsvermögen
Kinoprogrammpreisverleihung 2019 im Gloria – Foyer 11/19
Kurz und knackig
Kurz.Film.Tour. in der Lichtburg Oberhausen – Foyer 09/19
Kino ist ihr Leben
Kinoprogrammpreisverleihung 2018 im Gloria – Foyer 11/18
Bunter Abend für die Kinobetreiber
Kinoprogrammpreisverleihung 2017 in Köln – Foyer 11/17
Treffen der Kinofamilie
Sönke Wortmann, Frank Goosen Lucas Gregorowicz und Anna Bederke präsentierten „Sommerfest“ im Rex – Foyer 06/17
Dem Kleinbürgeridyll ein Schnippchen geschlagen
Lars Montag präsentierte am 6.5. „Einsamkeit und Sex und Mitleid“ im Rex – Foyer 05/17
Dokumentation einer Zeitenwende
Filmpräsentation und Podiumsdiskussion zu „Research Refugees“ in der Cobra Solingen – Foyer 03/17
Heimat mit Hindernissen
Lisei Caspers präsentierte den Dokumentarfilm „Gestrandet“ im Rex – Foyer 03/17