„Große Fragen“ brauchen große Bücher: Anders Nilsen gönnt seinem absonderlichen Szenario knapp 600 Seiten: Vögel auf einer Wiese; eine alte Frau und ihr trotteliger Sohn in einer Hütte; eine Bombe; eine Schlange; ein abgestürzter Pilot; Krähen. Mit zarten Zeichnungen erzählt Nilsen von den Ereignissen, die meist ruhig und nachdenklich sind, mitunter aber auch richtig spannend. Nilsen gelingt es, mit seiner beiläufigen Erzählhaltung größtmögliches Erstaunen auszulösen. Denn sowohl die Ereignisse als auch die Dialoge – vor allem zwischen den Vögeln – berühren existentielle Fragen. Ein beeindruckendes Spannungsfeld (Atrium). Mit „Die Kunst zu fliegen“ erzählt der Spanier Antonio Altbarriba die Geschichte seines Vaters. Sie ist geprägt vom „Bleibündnis“ im Spanischen Bürgerkrieg und der Résistance und dem „Blutsbündnis“ zu seinem Sohn. Daneben ist sein Leben, das er mit 90 Jahren durch den Freitod beendet, geprägt von Zwangsbündnissen in einer Gesellschaft, in der es nicht viel Liebenswertes gibt. Zeichner Kim setzt die bewegende Biografie, die zugleich eine Chronik Spaniens im 20. Jahrhundert ist, auf 200 großformatigen, schwarzweißen Seiten und mit von surrealen Sequenzen durchzogenem Realismus um (avant verlag). „Special Edition for Ladies“ nennt Carlsen eine neue Reihe, die mit gleich drei Bänden startet. Erstaunlicherweise sind die Macher eher Männer, nur „Ich wär so gerne Ethnologin ...“ stammt komplett aus Frauenhand. Doch Margaux Motins aneinander gereihte Szenen einer Illustratorin und Mutter sind nur bedingt erfrischend – die Klischees dominieren. „Paris“ von Maarten vande Wielde irritiert zwar mit befremdlichen Zeichnungen und krassen Szenarios, die Quintessenz ist aber auch hier dürftig. Alleine „Luft und Liebe“ von Hubert und Marie Caillou kann mit einer anrührenden Geschichte um ein magersüchtiges Pärchen und schönen Farbzeichnungen begeistern.
In eindrucksvollen, bunten Zeichnungen erzählen Bruno und Fabien Nury den Roman „Atar Gull“ von Eugène Sue als Comic. Sue war Mitte des 19. Jahrhunderts sehr populär, heute ist er kaum noch bekannt. Seine Wendung zum politischen Engagement erkennt man auch in der Geschichte um den Sklaven Atar Gull, der sich raffiniert am Sklavenhalter rächt. Spannend ist nicht nur die Story, sondern auch die widersprüchliche Charakterzeichnung, die Gut und Böse nicht simplizistisch gegeneinander stellt (avant-verlag). Weniger subtil ist Frank Millers neuestes Werk. „Holy Terror“ ist antiislamistische Propaganda ohne Wenn und Aber. Sein Superheld darf einen Terroranschlag vereiteln, Verallgemeinerungen und biblisches Augenmaß begleiten den düsteren und einsilbigen Helden, der beim Eliminieren des Feindes mit wilden Explosionen aus Licht und Schatten gefeiert wird. Superhelden-Klischees reizt Miller noch mehr aus als bisher, so dass dies höchstens als Karikatur der Karikatur des Superheldengenres durchgeht. Aber was soll das sein? (Panini)
Wer sich die Nase am Schaufenster des Taschen Verlags platt drückt, weil dort Robert Crumbs Sketchbook-Sammlung für ein paar hundert Euro steht, kann sich über eine erschwingliche Anthologie mit vier (den „Mumins“-Bänden von Reprodukt ähnlichen) Ausgaben voll von Stories aus den Skizzenbüchern des Meisters freuen. Den Anfang macht „Nausea“ mit Geschichten aus den 80er und 90er Jahren zu Literatur und Literaturbetrieb. Der abschließende fünfte Band der „Mumins“-Werkausgabe ist nun auch erschienen. Somit liegen alle 21 Comicgeschichten von Tove Jansson in ansprechender Aufmachung vor (beide Reprodukt).
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