An der Max-Reinhart-Schule erlernte die in Bremen geborene Barbara Sukowa ihr schauspielerisches Handwerk. Unter Rainer Werner Fassbinder wurde sie in der Serie „Berlin Alexanderplatz“ und als „Lola“ zum Star. Mit Margarethe von Trotta arbeitete sie u.a. bei „Die bleierne Zeit“, „Rosa Luxemburg“ und zuletzt „Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen“ zusammen. Nun haben sich die beiden gemeinsam dem Leben der politischen Vordenkerin Hannah Arendt angenommen, die Sukowa im gleichnamigen Film auf der Leinwand verkörpert.
engels: Frau Sukowa, Mario Adorf bedauerte kürzlich, dass er für keinen Regisseur der Lieblingsschauspieler geworden ist. Sie scheinen Margarethe von Trottas Lieblingsschauspielerin zu sein. Wie ist denn die Zusammenarbeit mit ihr?
Barbara Sukowa: Die ist wunderbar! Das ist für mich natürlich ein ganz großes Glück, weil es einfach toll ist, wenn man mit jemandem so gut arbeiten kann und über die Jahre natürlich auch befreundet ist. Dann ist Margarethe noch jemand, der sich immer an solch tolle Stoffe wagt. Uns verbindet, dass wir beide so große Lust haben, zu lernen. Etwas zu machen, bei dem man gar nicht so sicher sein kann, wie das am Ende wird. Sie hat eine ähnliche Lust auf Risiko, und das macht irgendwie Spaß.
Wie hat sich denn die Zusammenarbeit im Laufe der letzten 30 Jahre mit ihr verändert?
Dadurch, dass man mittlerweile gegenseitig auch die jeweilige Lebensgeschichte kennt, können auch persönliche Dinge mit in die Arbeit einfließen, über die man sich miteinander unterhalten hatte und die man nicht unbedingt mit jemandem teilen würde, den man nicht so gut kennt. Ich weiß auch mittlerweile, was sie will und was sie mag, und sie kennt mich so genau, dass sie auch weiß, wo meine Stärken und meine Schwächen liegen.
Hannah Arendt ist nun schon die vierte historische Figur, die Sie bei Margarethe von Trotta spielen. Finden Sie solche Rollen gemeinsam oder geht das primär von Ihrer Regisseurin aus?
Nein, das geht primär von Margarethe von Trotta aus, da habe ich mich noch nie direkt eingebracht. Sie sagt zwar immer zu mir: „Sag mir doch mal, was Du noch spielen möchtest!“, aber ich finde, bei so etwas muss der Regisseur Feuer fangen, denn der hat doch einen viel größeren Anteil an einem Film als ein Schauspieler.
Hatten Sie die Persönlichkeiten auch schon im Vorfeld interessiert oder haben Sie sich erst im Laufe der Dreharbeiten für die begeistert?
Ja, ich bin erst durch die Filmstoffe dazu gekommen.
Hannah Arendt und Gudrun Ensslin sind die beiden historischen Figuren, die von den vieren am nächsten an unserer eigenen Zeit dran sind. Ist das für Sie als Schauspielerin einfacher oder schwieriger?
Schwieriger insofern, dass es noch Menschen gibt, die Hannah Arendt persönlich kannten. Und es gibt Filmmaterial von ihr, anhand dessen man prüfen kann, wie authentisch wir sind (lacht). Wenn man jemand aus dem Mittelalter spielt (Hildegard von Bingen in „Vision“; die Red.), dann kann man doch seiner Fantasie freieren Lauf lassen, obwohl ich damals natürlich auch das Material studiert hatte. Aber ich glaube trotzdem, dass ich da etwas freier war.
Hatten Sie die Gelegenheit, Zeitzeugen zu begegnen, die Hannah Arendt persönlich kannten?
Ja, ich habe Jerome Kohn kennen gelernt, ihren literarischen Nachlassverwalter, und ich habe auch noch Lotte Köhler kennen gelernt, mit der Hannah Arendt zusammengearbeitet hatte und die im Film von Julia Jentsch gespielt wird. Die war schon in ihren 90ern, 93 oder 94 Jahre alt. Leider hatte ich mich zu diesem Zeitpunkt noch nicht so sehr in Hannah Arendt eingearbeitet gehabt, aber ich konnte Lotte Köhler viele persönliche Dinge fragen, was sehr gut war.
Als der Eichmann-Prozess stattfand, waren Sie selbst noch ein Kind. Wissen Sie noch, wann Sie damit zum ersten Mal bewusst in Kontakt gekommen sind?
Nein, das weiß ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich daran, dass ich davon gehört hatte, vielleicht war das damals in der Schule. Aber ich habe mich in meinem Leben sehr intensiv mit der Nazi-Zeit beschäftigt, das hat einfach mit meiner Generation zu tun. Aber ich erinnere mich daran, dass über den Eichmann-Prozess gesprochen wurde und dass man darüber in den Zeitungen etwas lesen konnte.
Mit Hannah Arendts Figur wird im Film auch der Gegensatz zwischen Denken und Fühlen thematisiert. Sind Sie eher ein Bauch- oder ein Kopfmensch?
Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, das ist bei mir ziemlich ausgeglichen. Ich glaube, ich war früher, als ich noch jünger war, eher ein Kopfmensch, und im Laufe der Jahre ist der Bauch mehr dazugekommen.
Sie sind immer mal wieder in US-amerikanischen Arthouse-Produktionen zu sehen. Haben Sie noch ein US-Management, das Ihnen diese Rollen vermittelt?
Nein, das hatte ich am Anfang. Als ich vor zwanzig Jahren nach New York gezogen bin, hatte ich dort einen Agenten. Aber ich merkte sehr schnell, dass man mir in den USA nur Rollen gab, bei denen ein Akzent nötig war. Ich habe zwar keinen deutschen Akzent, aber man wusste nie so genau, was das für ein Akzent war – ein britischer, ein australischer oder einer aus Südafrika. Insofern waren das limitierte Rollen. Ich hatte aber auch das Gefühl, dass ich im Englischen nicht so spielen kann, wie ich im Deutschen spielen kann. Man darf über die Sprache nicht mehr nachdenken, wenn man spielt. Wenn man sehr emotional ist, dann kann man nicht mehr über Sprache oder Grammatik nachdenken. Ich merkte, dass ich die Freiheit, die ich im Deutschen habe, im Englischen nicht habe. Dann war das ganze System, wie Filme gemacht worden sind und wie man unter den Schauspielern zusammenarbeitet, für mich nicht optimal. Ich habe mich dann mehr auf die Musik konzentriert, die für mich immer wichtiger wurde, und habe da nicht mehr weitergemacht. Vielleicht fange ich jetzt noch einmal an. Aber im Musikbereich habe ich in den USA wirklich tolle Sachen gemacht mit den Los Angeles Philharmonics und mit den Cleveland Philharmonics, und in der Carnegie Hall.
Ihre Kritik am US-Filmsystem bezieht sich also auch auf den New Yorker Teil und nicht nur auf Los Angeles, also Hollywood?
Ich möchte das nicht unbedingt kritisieren, ich sage nur, dass es sehr anders war, als das, was ich bisher gewohnt war. Das hat sehr viel mit den dortigen Lebensbedingungen zu tun. Dort existiert ein unglaublich harter Konkurrenzkampf, und in Deutschland habe ich das immer so erlebt, dass man beim Filmdreh ein bisschen zu einer Familie wird. Man spricht miteinander, die Schauspieler verbringen Zeit miteinander. In Amerika habe ich das so erlebt, dass die Schauspieler mehr am Telefon mit ihrem Agenten und ihrem Publizisten sprachen. Viele kommen auch aus dem Method-Acting-Bereich, und die sprechen dann nicht mit ihren Filmpartnern über die jeweilige Szene, sondern die bleiben dann ganz in ihrer Welt und ihrer Rolle, bis man aufeinander trifft. Das hat mich alles nicht sonderlich interessiert. Vor ein paar Jahren habe ich angefangen, an der New York University zu lehren und mit jungen Regisseuren zu arbeiten. Das hat mich fasziniert und war für mich viel interessanter, als mittlere Rollen in Filmen zu spielen.
Ist die Musik denn nach wie vor ein Schwerpunkt in Ihrem künstlerischen Schaffen oder drehen Sie lieber Filme?
Für mich kommt es immer auf die Herausforderung an. Ich entscheide mich gerne für Sachen, die spannend sind, die ich noch nicht kann, bei denen ich etwas Neues lerne. Das ist dann ganz egal, in welchem Bereich das stattfindet. Das kommt meistens auf mich zu. Wenn Margarethe von Trotta wieder eine aufregende Filmidee hat, so wie jetzt bei „Hannah Arendt“, dann werde ich das machen. Ich suche immer nach neuen Herausforderungen. Ich finde es nicht so spannend, etwas zu machen, was ich schon einmal gemacht habe, etwas, was ich in der Tasche habe und von dem ich weiß, dass ich es kann.
Glauben Sie denn, dass für Rainer Werner Fassbinder in der heutigen Filmwelt noch ein Platz wäre?
Das weiß ich nicht, das kann ich nicht sagen. Rainer Werner Fassbinder hätte sich ja sicherlich auch verändert, das ist eine Spekulation. Der Fassbinder von vor 30 Jahren wäre ja heute nicht der gleiche. Er war ein Künstler, der aufregende Sachen gemacht hat und ich nehme an, dass er das auch weiterhin geblieben wäre. Deswegen denke ich schon…
Bedauern Sie denn, dass Sie ihn erst in seinen letzten Lebensjahren kennen gelernt haben?
Nein, denn ich glaube, dass er in seinen letzten Lebensjahren auch anders gearbeitet hat. Ich denke, das war genau richtig.
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