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Das Improtheater B7 lässt etwas entstehen.
Foto: Marion Otto

Plot in freier Entfaltung

30. September 2019

Improvisationstheater mit B7 in der börse – Bühne 10/19

„Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest!“ Normalerweise fällt so ein Satz vielleicht, wenn jemand auf einen Seitensprung angesprochen wurde und sich dumm stellt. Auch hier auf der börse-Bühne steht zwar ein Ehebruch im Raum, der Satz ist somit Teil der Rolle – aber er fällt in einer Szene der Improvisationstruppe B7 und ist damit auch ganz echt und wirklich wahr. Bei Impro weiß im Grunde keiner was.

Im Zentrum an der Wolkenburg treten B7 regelmäßig auf, nahe der namensgebenden Bundesstraße. Nur der Jahreszeit (fast noch) entsprechend heißt der Abend „Sommernachtstraum“, dem wenig traumhaften Wetter schon nicht mehr, und wer sehr schlecht informiert wäre, müsste heute enttäuscht sein, weil gar kein Shakespeare vorkommt. Schlecht informiert sein ist aber eh fatal bei Impro, wenn man irrig mit Fertigem rechnet. Hier bestaunt man die Entstehung, beklatscht die Einfälle, und der Prozess zählt mehr als das Ergebnis. Und man ruft Stichwörter nach vorn, aus denen der Spaß sich erst entspinnt.

Die Gruppe tritt in leicht variablen Besetzungen auf, es gibt Zu- und Abgänge, und etwa heute fehlen zwei Mitspieler. B7 ist in der Improszene ein Name, und ihr großer Erfolg zuletzt trägt einen fürs Genre vielsagenden Namen: „Theatersport“ war der beliebte Begriff beim „Bergischen Theaterfestival“, den B7 mit dem Ersten Platz gewannen; und Sport scheint in der Tat der rechte Vergleich, um diese Form einzuordnen. Wobei sie auch mit Theaterspielen viel zu tun hat, denn das Spielen mit-, das aktive Reagieren aufeinander ist eine Kunst, die auch für Mimen mit Textbuch fundamental ist. Doch wie beim Sport gilt: Es gibt Aufgaben, sie wollen gemeistert sein, und zwar gemeinsam, sofort und mit vollem Krafteinsatz.

Nötig zum Geneigtsein war auch in der börse: Sinn dafür haben, mitfiebern und Einfälle goutieren. Vorgeben sollten die Zuschauer da etwa einen Ort fürs Spiel Vorher/nachher, und jemand rief „Beerdigung!“. Daraus wurde mit Zeitsprüngen ein Mordplan, und zu verfolgen war seine Entstehung nicht nur zwischen den fiktiven Tätern, sondern zwischen den realen Truppenmitgliedern: „Erinnert mich an ein Märchen“, hatte B7-Frau Jule orakelt, Kollege Sven ergänzte: „Ja, wie Schneewittchen.“ Wie abgesprochen, was es ja aber nicht war, doch fing sie flugs den Ball auf, pardon: den Apfel, den vergifteten, und Plot wie Plan nahm seinen Lauf.

Nach mehreren kurzen Aufgaben stand in Teil zwei eine lange, eine neue Erfahrung: Es hätte ein Film sein mögen, mit einer Lieblingsszene, die man immer wieder sieht – bloß dass man keine Wiederholungs-Taste brauchte. „Schornsteinfeger!“ war eine Idee aus dem Publikum zum Thema „Begegnung“, und die Grundszene daraus hatte man spätestens bei der ersten Wiederholung lieb gewonnen: Anne-Marie klingelt an der Tür, Martin öffnet und erkennt sie entgeistert, sie müssen sich kennen. Woher? Weiß keiner, und zwar am wenigsten die Spieler. „Der Besen“, entfährt es ihm komisch; „hast du einen dreckigen Kamin?“, fragt sie irgendwie rührend und wendet sich stumm gen Schornstein. Immer wieder sollte das Publikum Fragen stellen und gab so der Handlung erst die Richtung: „Ist sie wirklich Schornsteinfegerin?“ wollte jemand wissen, worauf Spieler Uli zum Arbeitsamtsberater wurde und die wählerische Kundin schließlich aufs Dach schickt – nicht ohne witzig-schräges Zögern: „Haben Sie denn einen Besen?“  

Impro-Aufgaben gibt es viele. Was wenig vorkam, schade vielleicht, waren die Freeze-Varianten, bei denen mitten im Spiel interveniert wird, die Spieler in der Bewegung erstarren und andere just diese Pose in einen ganz anderen Kontext stellen. Derlei bringt noch einmal Aha-Erlebnisse, weil dann das Talent zum Umdeuten besonders in den Blick fällt. Das war zu Anfang vertreten, als Jule stolz die Arme hochriss, ein anderer vor ihr spontan in die Knie ging und so eine Stalker-Story anstieß.

Schön waren die musikalischen Varianten, bei denen Robert Erwes, bei anderen Abenden auch Mitspieler, im Tastenspiel voll zur Geltung kam. Auch hier viel Geistesgegenwart auf dem Weg zum Lied, um mit Näschen für die erst entstehenden Szene schön den Ton zu treffen. Bei der allerletzten Nummer muss plötzlich die Einsicht gekommen sein, dass der US-Präsident nicht zu Vielem nutze sein mag, aber sehr gut als Refrain: „Trump Trump Trump“, und das war gar nicht zu überhören, hat rhythmisch ganz hervorragende Qualitäten. Und schon vor der Pause hatte sich zum Motto „Das schreit nach einem Lied“ ein hitverdächtiger Kehrvers entwickelt: Zur Vorgabe „Reklamation“ startete Martin: „Ich seh' hier diesen Lampenschirm“, Anne-Marie dichtete dem Teil ein reklamables Loch an und entdeckte am Satz „Er hat ein Loch“ anscheinend ungeahnte Ohrwurmqualitäten, die in der nächsten Strophe bei der defekten Hosentasche ihre fluffige Fortsetzung fanden. Nahtlos, sozusagen. Und in der Schlussszene kam alles noch einmal rührend zusammen.

Klar: Aus der Erwartung bei fertigen Stücken heraus wäre hier vieles kein plausibler Plot, keine Knallerpointe, kein stringenter Spannungsbogen. Mit solchen Kriterien kann man aber besser zu Hause bleiben, und zwar weil sie beim Impro grundfalsch wären. Wer eine gezirkelte Ballchoreografie sehen will, geht ja auch in den Zirkus oder vielleicht zum Kunstturnen und hat keinen Spaß im Stadion.

Martin Hagemeyer

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