Das Theater am Engelsgarten zeigt Suzie Millers Solostück „Prima Facie“, das sich mit patriarchalen Strukturen im Rechtssystem befasst. Ein Gespräch mit Regisseurin Johanna Landsberg.
engels: Frau Landsberg, „Prima Facie“ ist kein ganz einfacher Titel, oder?
Johanna Landsberg: Nein, ist es nicht. Es ist ein eher sachlicher Titel, der auch „Anscheinsbeweis“ heißt und so viel bedeutet wie „bis auf Widerruf“ oder „solange sich nichts Neues ergibt“.
Das Stück handelt von einer Strafverteidigerin, die die Seiten wechselt, als sie einen sexuellen Übergriff erlebt.
Tessa Ensler glaubt sehr stark an das Gesetz und behauptet, dass das auch immer Recht habe. Deshalb hat sie auch kein Problem damit, die Verteidigung in Fällen von Vergewaltigungen durch Männer zu übernehmen. Und sie ist gut darin. Doch dann wird sie selber Opfer eines sexuellen Übergriffs und muss vor Gericht erleben, dass das Gesetz doch nicht für die Opfer gemacht worden ist, sondern es schützt eigentlich eher die Täter.
Ensler stammt aus einfachen Verhältnissen und hat sich hochgearbeitet. Hat die ursprüngliche Haltung auch etwas mit ihrer Biografie zu tun?
Ich glaube nicht, dass ihr persönlicher Hintergrund da eine große Rolle spielt. Das hat für mich eher etwas mit ihrem Kampfgeist zu tun. Sie musste sich eben hochkämpfen, und das hat sie sowohl in ihrer Ausbildung als auch später vor Gericht getan. Es spielt eine Rolle, dass sie immer kämpfen musste. Um Anwältin zu werden, ist ihr nicht automatisch der Weg geebnet worden, während das bei anderen an der Uni anders war. Genauso ist es vor Gericht auch immer, Täter haben meist die besten Leute an ihrer Seite.
Die Autorin des Stücks, Suzie Miller, ist auch Juristin. Müssen die Zuschauer:innen juristisch vorgebildet sein?
Nein, auf keinen Fall! Es geht vor allem darum, auf die Missstände im Rechtssystem aufmerksam zu machen. Auch darauf, dass das Gesetz nicht immer Recht hat, sondern jede Geschichte bei einer Verhandlung individuell angeschaut werden muss. Nein, Vorkenntnisse sind fürs Publikum dafür nicht erforderlich.
Ist eine Inszenierung mit einer einzigen Schauspielerin auf der Bühne besonders einfach?
Ich würde sagen: eher im Gegenteil. Für beide ist das anstrengender und auch intimer, weil man wahnsinnig viel Zeit miteinander verbringt.
Die Auseinandersetzung mit der Rolle wird so wahrscheinlich auch nicht einfacher?
Genau. Man beschäftigt sich dann noch intensiver. Auch für die Schauspielerin Julia Wolff ist dieses Stück eine Herausforderung, ein bis zwei Stunden eben ohne Kolleg:innen auf der Bühne zu stehen. Normalerweise hat man da ja welche, wo man auch mal einen Blick hin werfen kann: So, jetzt mach du mal weiter. Und das geht natürlich jetzt nicht.
Viel Bewegung kann man auf der Bühne vom Theater am Engelsgarten auch nicht erwarten, oder?
Für eine Schauspielerin ist genug Platz. (lacht) Wir versuchen, die ganze Bühne auszukosten.
Wie steht es da um das Bühnenbild?
Wir denken gerade verschiedene Orte auf der Bühne an. Es wird aber vor allem ein großes Licht- und Videokonzept von Johanna Rehm geben.
Wie hält man über zwei Stunden die Spannung im Publikum hoch? In unserer Gesellschaft wird sich für Frauen ja absehbar nicht viel ändern, oder?
Das Stück ist so aufgebaut, dass es sowieso schon eine Grundspannung hat, weil wir ganz lange in das Leben hineinschauen und sehen, wie die Figur funktioniert und wie sie arbeitet. Dann gibt es eben diesen Knall und dann fährt das Stück komplett nach oben durch die Gerichtsverhandlung, und durch das, was sie schon vorher durchgemacht hat. Ich glaube der Spannungsbogen bleibt dadurch gegeben. Und der Grund, warum ich das Stück machen will, ist, dass sich eben was in der Gesellschaft ändern soll – und ich glaube, mit Stücken dieser Art kann man das schaffen.
Ist das eher ein Stück von Frauen für Frauen oder soll es auch ein Zeigefinger für die Männer sein?
Wir versuchen, keinen Zeigefinger zu erheben, weil so was eher abschreckt. Unser Ziel wäre, das einfach alle Menschen kommen, egal welches Geschlecht, und in die Diskussion kommen.
Sexuelle Selbstbestimmung spielt im Sexualstrafrecht bis Mitte des 20. Jahrhunderts keine Rolle. Lässt das System Tessa Ensler im Stich?
Ja. Meiner Meinung nach lässt sie das System da im Stich. Sie gewinnt nicht vor Gericht, der Täter bekommt Recht. Das System ist ja eben von Männern für Männer gemacht.
Eine letzte und persönliche Frage: Was denken Sie, warum wählen auch Frauen einen verurteilten Sexualstraftäter eher zum Präsidenten als eine Schwarze Frau?
Das kann ich mir nicht erklären.
Prima Facie | 25. (P), 26.1., 2., 6., 22.2., 1., 21.3., 4.4., 3.5. | Theater am Engelsgarten | 0202 563 76 66
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