Im Interview spricht Peter Wallgram über seine Inszenierung von Teresa Doplers Stück„Monte Rosa“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten. Darin geht es um die subtil ausgetragenen Konflikte von drei Bergsteigern oder Bergsteigerinnen.
engels: Herr Wallgram, die Berge verneigen sich bei Teresa Dopler nicht mehr – die Zeiten von Luis Trenker sind endlich vorbei?
Peter Wallgram: Ja, die Zeiten sind vorbei, und auch Reinhold Messner ist vor kurzem 80 Jahre alt geworden. Trotzdem erlebt man einen unglaublichen Boom in den Bergen – nicht zuletzt verstärkt durch die Coronakrise. Ich bin gerade in Tirol, und man merkt hier, dass es die Leute in die Berge zieht, denn man will sich wieder spüren. Die Outdoor-Industrie hat auch einen unglaublichen Boom und so stoßen auch Menschen in ungeahnte Höhen vor, die es eigentlich nicht können. Bestimmte Insta-Spots werden überlaufen für bestimmte Insta-Momente auf über zweieinhalbtausend Metern. Da kommt es natürlich auch zu Gefahrenlagen.
Was ist des Pudels Kern in Doplers Stück „Monte Rosa“? Geht es immer nur um Gesundheit, Alter, Fitness?
Ich denke, man kann das Stück auf ganz verschiedene Arten lesen und erleben. Vordergründig geht es um drei Bergsteiger oder Bergsteigerinnen. Das führt Teresa Dopler nicht aus, das bleibt jedem Regie-Team überlassen. Die treffen sich auf Berggipfeln oder auf dem Weg dorthin und unterhalten sich übers Bergsteigen – das alles lässt sich lesen vor der Folie von Selbstoptimierung, Kompetitiv-Sein, darauf, wer besser ist, wer höher kann und wer die schöneren Waden hat.
Hätte Darwin das gefallen, als „Survival of the Fittest“?
Ich bin mir nicht sicher, ob man mit Darwin da richtig interpretiert. Aber tatsächlich geht es schon auch darum, wer der Stärkere ist. Unser Ansatz ist, das sehr konkret zu erzählen. Man wird also auf der Bühne auch drei Bergsteiger sehen, die sich übers Bergsteigen unterhalten. Wir werden das so konkret machen, dass man als Zuschauer oder Zuschauerin die Möglichkeit hat, dann für sich selber herauszufinden, worauf sie das noch legen können. Auf den Alltag oder die eigene Erfahrungswelt. Nicht jeder hat ja diese Hochgebirgserfahrung.
Ist das eine Gesellschaftsanalogie?
Das ist sehr zwiespältig. Es gibt z.B. die Über-1.000-Meter-Regel: Über 1.000 Meter über dem Meeresspiegel siezt man sich nicht mehr, sondern sagt „du“. Die Bergethik, die Bergsteigerethik, ist eine sehr freundschaftliche, kameradschaftliche. Man hilft sich gegenseitig und guckt, ob jeder alles richtig macht, damit niemand in eine Gefahrenlage kommt. Man hat ein gemeinsames Interesse, es kommt sehr schnell zu einem Gedankenaustausch, zum Erzählen von Anekdoten und Geschichten. Auf den Alpenvereinshütten ist es auch so, dass man sehr eng beieinandersitzt, wenn man es nicht mehr ins Zweibettzimmer schafft, liegt man im Lager und ist zwangsläufig auf Tuchfühlung. Die Werte, die der Alpenverein oder die Naturfreunde (das ist das rote Pendant zum schwarzen AV, Anm. PW) vertreten, ist ein sehr solidarisches Miteinander. Insofern ist das kein Hauen und Stechen da oben. Subtil schleicht sich da aber auch immer ein: Ich bin ein richtiger Bergsteiger, weil ich das und das in der Zeit schon gemacht hab – und du bist kein richtiger Bergsteiger, weil du es ja nicht schaffst, eine richtige Hochgebirgstour zu machen. Grundsätzlich breche ich eine Lanze für den Prototyp Bergsteiger, den Idealtypus, der auch dieses Gemeinschaftliche prägt.
Aber es gibt doch Dispute in dem Stück, oder?
Konflikte gibt es da, und sie werden sehr subtil ausgetragen. Da geht es um die Frage: Bist du gut genug für mich und mein Leben, bringst du mich weiter, bist du mein Partner, mit dem ich weiterkomme – oder muss ich noch auf den Besseren warten? Das ist eine Frage, die man ganz gut auf andere Lebenslagen lesen kann, auf Bindungsängste, auf Partnersuche – oder werde ich diese Person auch wieder los, wenn ein Besserer auftaucht.
Also doch das Überleben des Stärkeren?
Das geht eher um die Generation Tinder: Mit wem binde ich mich und verbringe mein Leben? Oder kommt da noch jemand Besseres ums Eck?
Wie inszeniert man so ein Gletscher-Epos im Engelsgarten? So hoch ist die Bühne doch gar nicht.
Ja, der Engelsgarten. Ich bin ja gebürtig aus Tirol, fühle mich aber in Wuppertal sehr wohl, auch weil es bergig ist im Bergischen Land. Ich bin auch dem Wuppertaler Alpenverein sehr verbunden. Auf die Bühne kommt ein großes Alpenpanorama hin und da inszenieren wir die ganzen Berge.
Wie wichtig war es, die Bühne selbst zu entwerfen?
Eigentlich bin ich sehr eng mit meiner Ausstatterin Miriam Grimm, wir arbeiten toll zusammen. Aber dieses Stück wollte ich schon machen, seit ich es das erste Mal gesehen habe – und als sie es mir dann angeboten haben, war für mich sehr schnell klar, dass ich die Bühne selber machen will. Da hatte ich das Setting so stark schon im Kopf.
Monte Rosa | Sa 7.12. 19.30 Uhr (P) | Theater am Engelsgarten | www.wuppertaler-buehnen.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Im Stück steckt ganz viel Politik drin“
Regisseurin Barbara Büchmann über „Der einzige Mann am Himmel bin ich“ in Wuppertal – Premiere 10/24
Märchenhafte Rollenverteilung
„Es war einmal…“ am Schauspiel Wuppertal
„Wir sind eher im sozialkritischen Drama zuhause“
Regisseur Peter Wallgram über „Woyzeck“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 06/24
„Eine Geschichte, die keinen Anfang und kein Ende hat“
Die Choreograph:innen Thusnelda Mercy und Pascal Merighi über „Phaedra“ in Wuppertal – Premiere 05/24
Teuflischer Plan
Senecas „Phaedra“ am Theater am Engelsgarten – Prolog 04/24
„Das Klügste ist, dass man die Polizei gar nicht sieht“
Anne Mulleners inszeniert „Falsch“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 03/24
„Wir haben uns absolut gegen den großen Stein entschieden“
Regisseurin Hannah Frauenrath über „norway.today“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 12/23
„Es geht darum, was es heißt, politisch aktiv zu werden“
Jenke Nordalm inszeniert Thomas Köcks „Klimatrilogie“ im Theater am Engelsgarten – Premiere 09/23
„Zu Theater gehört Wagnis und Experiment“
Intendant Thomas Braus über die neue Saison am Schauspiel Wuppertal – Premiere 08/23
„Thomas Mann tut es gut gekürzt zu werden“
Henri Hüster spricht über seine Inszenierung des Zauberbergs – Premiere 04/23
Sie haben ein knallgelbes Gummiboot
„Vogelfrei“ am Theater am Engelsgarten – Auftritt 01/23
Das bleibt, wenn die Masken fallen
„Die Wahrheiten“ am Theater am Engelsgarten – Auftritt 11/22
Schäferwagen und Hexenhaus
„Hänsel und Gretel“ am Opernhaus Wuppertal – Auftritt 11/24
Ohne Firlefanz
Premiere von „Salome“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 10/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
„Macht und Machtspiele“
Intendant Thomas Braus über die neue Spielzeit am Wuppertaler Schauspiel – Premiere 09/24
Zahlreiche Identitäten
6. Hundertpro Festival in Mülheim a.d. Ruhr – Prolog 08/24
„Eine andere Art, Theater zu denken“
Dramaturg Sven Schlötcke über „Geheimnis 1“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Premiere 08/24
Weltstars in Wuppertal
Größen der Rock- und Pop-Szene gastieren im LCB – Porträt 07/24
Unterhaltsame Kurzweil
„Die lustigen Weiber von Windsor“ am Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 07/24
„Schauspielerfahrung schult perspektivisches Denken“
Schauspieler Thomas Ritzinger hat mit „Die letzte Nachtschicht“ einen Roman geschrieben – Interview 07/24
Bewegte Geschichte
Soziokulturelles Zentrum Die Börse in Wuppertal – Porträt 06/24
Jack the Ripper im Opernhaus
Ausblick auf die Spielzeit der Wuppertaler Bühnen – Bühne 05/24