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Jacques Offenbachs Sopranistin Hortense Schneider in der Titelrolle
Foto: gemeinfrei

Die Sprengkraft der Operette

29. Mai 2019

Jacques Offenbachs „La Grande-Duchesse de Gérolstein“ – Opernzeit 06/19

Europa in Zeiten des erstarkenden Nationalismus. 1866 ordnet sich die politische Landkarte neu: Preußen annektiert nach dem Sieg im Deutschen Krieg Gebiete und erzwingt Bündnisse. Der Deutsche Bund wird aufgelöst und stattdessen der Norddeutsche Bund unter preußischer Vormachtstellung gegründet. Nach der Schlacht bei Königgrätz muss das vernichtend geschlagene Kaiserreich Österreich Gebiete an Italien abtreten. Europa ist in Aufruhr. Die Staatsmacht unterdrückt überall sozialrevolutionäre Strömungen, während sich das erstarkende Bürgertum als staatstragend versteht und von der boomenden Industrialisierung profitiert.

Die repressive Atmosphäre ist ein idealer Nährboden für die Werke Offenbachs und seiner Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy, deren anarchischer Humor befreiend zuschlägt. In ihren berühmten Offenbachiaden nehmen sie das Kaiserreich Napoleons III aufs Korn, die Welt steht Kopf: Was im staatlich reglementierten Alltag hoch gehalten wird, bricht auf der Bühne in sich zusammen und allzu Menschliches, das sich hinter den dunklen Kulissen der Macht versteckt, wird ins Scheinwerferlicht gezerrt. In all den Cancans, Walzern, Mazurken, Polkas und Tyroliènnes gerät der Staatsapparat aus dem ordentlichen Takt: Hierarchien kehren sich um. Endlich darf über die Herrschenden gelacht werden, wenn sie in ihrer Selbstverblendung den Untergebenen unterliegen. Nicht Kriege brechen aus, sondern anarchisches Vergnügen in ungehemmter Liebes-, Trunk- und Tanzlust, zumindest einen Theaterabend lang.

Das turbulente Geschehen spielt im Fantasie-Zwergstaat der Grande-Duchesse de Gérolstein. Die Ereignisse rund um die liebestolle Willkürherrscherin überschlagen und überspitzen sich bis hin zur Groteske. In ihrer Erotomanie befördert die Großherzogin das Objekt ihrer Begierde, den jungen Bauern Fritz, zum General, der gegen den Zwerg-Nachbarstaat mit einer ausgefallenen Strategie ins Feld zieht. Den Sieg trägt er nicht in einer Schlacht, sondern in einem kollektiven Besäufnis mit dem Feind davon, sodass alle mit einem Kater und ohne Blessuren davonkommen. Als sich der Held jedoch dem Bett der Großherzogin verweigert, da er ein Bauernmädchen liebt, nimmt die Intrigenhandlung rund um die unberechenbaren Launen der Herrscherin und deren Hofschranzen ihren Lauf. Zur Erheiterung des Publikums geht es den Mächtigen dabei durchweg schlechter als den Ohnmächtigen. Am Ende trägt der wahrhaft Liebende den Sieg davon und die Großherzogin berauscht sich am gefüllten Glas. Ob es dabei bleibt? „Ce qu´on a fait, on le refait, l´histoire est comme un cercle immense“, singt sie zu Beginn des dritten Aktes – Geschichte wiederholt sich, aber leider viel zu selten in kollektiver Trunkenheit.

Wo zu sehen in NRW?

Oper Köln: ab 9.6. | 0221 22 12 84 00

Kerstin Maria Pöhler

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