Andrew Lloyd Webbers Rockoper „Jesus Christ Superstar“ ist knapp 50 Jahre alt und ein Dauerbrenner an den Stadttheatern. Das liegt auch daran, dass sich das Stück auch gut mit kleiner Besetzung aufführen lässt, bei der die Rockband nur mit einigen Orchestermusikern verstärkt wird – oder gar nur mit einem Synthesizer. Die Wuppertaler Oper setzt demgegenüber musikalisch deutlich einen drauf: Das opernhafte Musical erklingt mit Band und einem großen Orchester. Zu sehen ist unterdessen die „Passionsgeschichte“ vom Aufstieg und Fall eines Popstars unserer Tage, inszeniert von Erik Petersen.
Zugegeben, die reduzierte Orchesterbesetzung ist ein Kompromiss, mit dem es sich meist gut leben lässt, denn die Band trägt im Wesentlichen das musikalische Gerüst. Und doch hat der klangliche Luxus, den sich Wuppertal jetzt gönnt, eindeutig seinen Reiz. Wenn volle Bläsersätze aus dem Graben tönen, ist das schon ziemlich überwältigend. Und dass die zahlreichen echten Streicher jeden Synthie meilenweit in den Schatten stellen, versteht sich quasi von selbst. Die Band sitzt übrigens im Obergeschoss der Kulissen, die eine Art Varieté-Bühne auf der Bühne (von Sam Madwar) darstellen. Dirigent Jürgen Grimm hält mit „Klick im Ohr“ die musikalischen Stränge aus dem Graben heraus zusammen. Das funktioniert tadellos gut. Die vielen stark synkopierten Riffs und Grooves kommen knackig (und ordentlich laut) auf den Punkt. Das müssen sie auch, denn in der mitunter recht atemlos wirkenden Abfolge der Songs, die durch keine gesprochenen Dialoge unterbrochen werden, würde sonst rasch die treibende Kraft des Stücks kollabieren. Eine solche Gefahr droht in Wuppertal zu keine Zeit. Denn Jürgen Grimm hat die Produktion schon rund 40 Mal im Staatstheater Oldenburg musikalisch geleitet, von dem Wuppertal sie übernommen hat. Dort spielte Petersen übrigens mangels Orchester noch selber die Keyboards.
Auch die Hauptdarsteller Oedo Kuipers (Jesus) und Rupert Markthaler (Judas) standen schon in Oldenburg auf der Bühne – übrigens durchweg vor ausverkauftem Haus. Wer den jungen Niederländer Kuipers auftreten sieht, kann direkt nachvollziehen, warum Regisseur Petersen ihn eigentlich nur als Popstar inszenieren konnte: Der 30-jährige Beau könnte problemlos bei jeder Boygroup unterkommen, zweifellos auch wegen seiner herausragenden Stimme. Glücklicherweise hat Kuipers die Musicalbühne vorgezogen, denn auch sein schauspielerisches Talent ist bemerkenswert. Die Angst und Verzweiflung des geschundenen und gekreuzigten Christus bringt er so eindringlich und glaubhaft über die Rampe, dass das Premierenpublikum geradezu vor Schreck und Entsetzen erstarrt. Regisseur Petersen legt es gekonnt dosiertem Kunstblut auch darauf an. Seine Inszenierung ist durchaus keine belanglose Bebilderung eingängiger Songs. Sowohl die Milieustudie des Showbiz´ mit all den leichten Mädchen, Drogen und mafiösen Verstrickungen als auch die Geschichte vom tiefen Fall und der vollständigen Vernichtung des zuerst hochgejubelten und auch hochmütigen Stars sind detailliert und ernst zu nehmend gezeichnet.
Indes ist die Rockoper keineswegs eine One-Man-Show. Die Rolle des Judas ist so tragend, dass Lloyd Webber und sein Texter Tim Rice sogar darüber nachdachten, das ganze Stück „Judas“ zu nennen. Markthaler ist Kuipers absolut ebenbürtig und hat keineswegs leichtere Partien zu bewältigen. Beide Sänger haben enorme Kraft in der Stimme, einen enormen Atem und bewältigen große Tonumfänge ohne Registerbrüche. Herausragend ist ebenfalls die junge Maureen Mac Gillavry als Maria Magdalena, bei der Jesus Halt und Zuwendung sucht.
Überzeugend sind indes auch die Bösen: Rainer Zaun verleiht dem Kaiphas mit tiefschwarze Basstönen etwas Dämonisches, Simon Stricker singt einen kernigen Pontius Pilatus und Annas,
Marc Bowman-Hester gibt als König Herodes im Glitzerjackett eine glänzend gespielte Parodie auf einen halbseidenen Altstar des Showbiz´. Eine Produktion die sowohl mitreißt als auch unter die Haut geht.
„Jesus Christ Superstar“ | 9.2., 23.2. + 2., 13., 26, 30.4. | Oper Wuppertal | 0202 563 7666
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