Seinen Durchbruch hatte der 1964 in Berlin geborene Thomas Heinze Anfang der 90er Jahre, als er mit den romantischen Komödien „Allein unter Frauen“, „Frauen sind was Wunderbares“ oder „Das Superweib“ zu einem der größten hiesigen Kassenstars avancierte. Auch im Fernsehen verbuchte er mit Event-Mehrteilern wie „Die Kreuzritter“ oder „Das Wunder von Lengede“ oder in der „Marie Brand“-Reihe als Dr. Gustav Engler Erfolge. Nun ist er in „Lügen und andere Wahrheiten“ mal wieder in einer größeren Rolle auf der Kinoleinwand zu sehen – an der Seite von Meret Becker, seiner Partnerin aus „Allein unter Frauen“.
engels: Herr Heinze, schon vom Konzept her ist „Lügen und andere Wahrheiten“ ungewöhnlich, weil das Drehbuch keine Dialoge enthielt…
Thomas Heinze: Absolut, es war ein Drehbuch ohne Dialoge, beziehungsweise hatten wir noch nicht einmal ein Drehbuch mit Szenen. Wir sollten nicht wissen, was passiert, das war ein Stück des Konzepts. Wir wussten eigentlich nur, welche Figur wir zu spielen hatten und in welchem Verhältnis diese zu den anderen Figuren steht. Wir machten im Vorfeld einige Improvisationen, auf die wir uns dann sozusagen berufen konnten. Das wurde in unterschiedlichen Konstellationen gemacht, wenn es für die Geschichte relevant war. Aber nähere Informationen zur Geschichte waren uns im Vorfeld nicht bekannt.
Wusste Vanessa Jopp genau, was sie sehen will, oder ließ sie jedem Schauspieler viel Freiraum?
Nein, Vanessa Jopp wusste schon sehr genau, was sie wollte! Das Ende haben wir zwar in zwei verschiedenen Varianten gedreht, aber davon abgesehen waren alle Abläufe der Geschichte von ihr sehr genau vorgegeben. Sie hatte die Charaktere und die Situationen so genau im Kopf, dass auch bei den Improvisationen am Ende nur passieren konnte, was sie sich vorgestellt hatte.
Da Ihnen kein Drehbuch im klassischen Sinne zugeschickt wurde, haben Sie sich dann Jopps frühere Filme angesehen, bevor Sie bei dem Projekt zusagten?
Gerade in Bezug auf solch ein Wagnis habe ich mir ganz schnell einige andere Filme von Vanessa Jopp angeschaut, um besser einschätzen zu können, ob ich an dem Projekt teilnehmen möchte. Zum einen interessierte mich diese ungewöhnliche Arbeits- und Herangehensweise, zum anderen war natürlich auch das Schauspielerensemble für mich sehr überzeugend. Ich finde Meret Becker großartig, das fand ich immer schon. Ich kenne sie bereits seit „Allein unter Frauen“, was ja 25 Jahre zurückliegt! Wir haben quasi gerade silberne Filmhochzeit!Dass ich mit ihr viele gemeinsame Szenen haben würde, war für mich absolut wichtig. Jeanette Hain kenne ich fast ebenso lange, Elisabeth Trissenaar finde ich ganz großartig, und auch Florian David Fitz. Wen ich nicht kannte, die ich aber auch supertoll finde, ist Alina Levshin. Jopp hatte da wirklich schon ein sehr überzeugendes Ensemble beisammen.
Ist es Ihnen schon passiert, dass sich eine kleine Notlüge verselbständigt hat und das dicke Ende nachkam?
Die eine Lüge führt zur nächsten und dann wieder zur nächsten und so weiter, ja. Irgendein kluger Kopf, ich glaube, es war sogar Theodor Heuss, hat einmal gesagt: „Wer nie lügt, der muss auch kein gutes Gedächtnis haben.“ Denn man muss ja sehr fit im Kopf sein, wenn man eine Lüge aufrechterhalten will. Das ist ein sehr aufwändiger Prozess, bei dem man nicht vergessen darf, was man gesagt hat. Es ist sehr viel anstrengender, als die Wahrheit zu sagen. Die Lüge muss erst kreiert werden, was sie dann aber aus künstlerischer Sicht auch spannender macht. Ich habe ein wenig über Lügen recherchiert und darüber gelesen. Dabei habe ich herausgefunden, dass man, wenn man nervenstark ist, einen Lügendetektor gut überlisten kann. Man hat aber auch festgestellt, dass mehr Blut durch die Nase schießt, wenn man lügt; dass sie also stärker durchblutet wird. Ich finde das wirklich faszinierend, dass Menschen das offenbar instinktiv spüren, denn sonst hätte Carlo Collodi „Pinocchio“ damals sicherlich nicht so erfunden.
Sie drehen in den letzten Jahren überwiegend fürs Fernsehen. Liegt das daran, dass man mit Ihnen bei Casting-Agenturen noch ein bestimmtes Image verbindet, oder setzen Sie hier einfach Ihren Schwerpunkt anders?
Nein, man sagt sich ja nicht: „Ich habe keine Lust mehr, Kinofilme zu drehen, ich gehe jetzt ins Fernsehen.“ Aber ich habe zwischen den Medien an sich nie einen großen Unterschied gemacht, de facto gibt es den ja auch bei den Arbeitsweisen nicht. Das machte sich früher am ehesten noch in der Tatsache bemerkbar, dass für einen Kinofilm mehr Drehzeit zur Verfügung stand. Aber mittlerweile gibt es auch für Kinofilme nicht mehr so viel Geld, weswegen dort auch schneller gearbeitet werden muss. Für „Lügen und andere Wahrheiten“ stand fast gar kein Geld zur Verfügung, weil mit solch einem konzeptionellen Ansatz und ohne Drehbuch natürlich auch schwer an Filmförderungen zu kommen war. Ich glaube, dass Sie mit Ihrer Vermutung gar nicht so falsch liegen. Ich hatte ein Beziehungskomödien-Image, weil ich eine ganze Menge davon gedreht habe, und sie auch gerne gedreht habe. Aber das steckt noch bei vielen Castern in den Köpfen fest.
Im Fernsehen sieht man Sie allerdings auch nur selten in Serien, als Beispiel fällt mir nur „Der Fürst und das Mädchen“ ein. Wollen Sie sich nicht längerfristig an eine Rolle binden, um dadurch andere Projekte nicht zu verhindern?
Ja, richtig, aber mir geht es dabei nicht darum, andere Projekte nicht zu verhindern. Ich hätte Schwierigkeiten damit, mich über einen langen Zeitraum immer mit ein und derselben Figur zu beschäftigen. „Der Fürst und das Mädchen“ war so auch nicht geplant. Ich traf Maximilian Schell, der mir sagte, er fände es schön, nach „Justiz“ mal wieder mit mir zu arbeiten. Ich hatte auch Lust auf den gemeinsamen Dreh und sagte deshalb zu, seinen unehelichen Sohn zu spielen. Dann entwickelte sich die Geschichte aber so, dass seine Figur schon sehr bald starb und wir kaum etwas zusammen zu spielen hatten. Natürlich sind Serien eine tolle Sache, weil man u.a. finanziell abgesichert ist, aber dann muss auch das Format insgesamt stimmen. Ich drehe jetzt eine Serie mit Jürgen Vogel unter der Regie von Matthias Glasner. Aber das ist wohl eher eine Miniserie, für die wir im letzten Jahr einen neunzigminütigen Pilotfilm, „Die Lebenden und die Toten“, gedreht haben, und jetzt für vier Sechzigminüter vor der Kamera stehen. Das ist ein Drehaufwand von drei bis vier Monaten und damit nicht viel länger als bei einem Kinofilm. Aber das wird weder vom Format noch von der Ausstrahlung her eine klassische Serie werden.
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