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Isabel Gomez
Foto: Cradle to Cradle NGO

„Menschen können Nützlinge sein“

01. Januar 2022

Isabel Gomez von Cradle to Cradle e.V. über Ökostoffe und Kreislaufwirtschaft – Teil 1: Interview

engels: Frau Gomez, was für Probleme haben wir derzeit in der Verwertung von Verpackungen?

Isabel Gomez: Das grundsätzliche Problem besteht darin, dass die allermeisten Produkte – so, wie sie heute in unserer linearen Wirtschaft hergestellt werden – gar nicht dafür designt und produziert wurden, um anschließend so verwertet zu werden, dass dabei keine Ressourcen verloren gehen.Die meisten Kunststoffprodukte zum Beispiel bestehen aus Kunststoffmischungen oder sie werden mit Additiven angereichert, das können schädliche Weichmacher sein, aber auch Farben. Dadurch können diese Produkte allerdings nicht ohne Qualitätsverlust recycelt werden. Aus einer durchsichtigen PET-Flasche kann immer wieder eine durchsichtige PET-Flasche werden. Wird das PET aber mit einem anderen Kunststoff vermischt, dann wird dieser Kreislauf durchbrochen und alles, was folgt, ist Downcycling. Dann zerschreddern wir das entstandene Material, um Parkbänke daraus zu machen. Die stehen noch eine Weile im Park, gehen vielleicht als Füllmaterial noch in den Tiefbau, doch dann war's das. Am Ende landet solches Material eben doch auf der Deponie oder muss verbrannt werden. Das ist ganz klar Ressourcenverschwendung.

Es kommt immer auf das Nutzungsszenario an“

Materialien auf Mais- oder Kaktus-Basis sind dabei, Standardmaterialien wie tierisches und künstliches Leder abzulösen. Welches Potenzial haben solche Stoffe?

Hier ist wichtig, zu wissen, dass ein Produkt aus einem organischen Material nicht automatisch biologisch abbaubar ist. Aus der Sicht von Cradle to Cradle kommt es bei der Frage, welches Material sich für ein bestimmtes Produkt eignet, immer auf das Nutzungsszenario des Produktes an. Dazu kommt: Mais ist ein Lebensmittel. Bei Ressourcen, deren Verwendung in Konkurrenz zur menschlichen Ernährung stehen, sollte man sich überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre, ein kreislauffähiges synthetisches Material herzustellen, das immer wieder verwendbar ist. Es gibt heute beispielsweise eine Alternative zu herkömmlichem Kunststoff, die aus den Resten der Futtermittelproduktion hergestellt wird und dabei auch komplett biologisch abbaubar ist. Das Material eignet sich nicht für alle Anwendungsfälle, für die heute konventionelle Kunststoffe verwendet werden, aber für manche Nutzungsszenarien ist es eine tolle Alternative. Es kommt also immer darauf an, wofür ich ein Material verwenden möchte. In Bezug auf die Verwertung müssen zwei Punkte beachtet werden. Zum Einen wie mit dem Material umgegangen wird: Ist es ein Monomaterial oder wird es mit anderen Materialien vermischt, sodass sich diese vermischten Materialien vielleicht nicht mehr voneinander trennen lassen? Zum Anderen gibt es dafür bereits ein geeignetes und funktionierendes Versorgungs- und Verwertungssystem?

Alle Produkte müssen so hergestellt werden, dass die Materialien immer wieder zu recyceln sind“

Wie funktioniert Cradle-to-Cradle (C2C)?

Cradle to Cradle, übersetzt „von der Wiege zur Wiege“, bedeutet: Jeder Rohstoff wird nach seiner Nutzung wieder zum Nährstoff oder Rohstoff für ein neues Produkt. Diese Denkschule geht davon aus, dass wir Menschen eigentlich gar nicht die Schädlinge sein müssen, als die wir wahrgenommen werden. Indem wir die Meere verschmutzen, Produkte herstellen, die gesundheitsschädlich für uns selbst sind und Rohstoffe vergeuden, entziehen wir uns nach und nach unsere Lebensgrundlage. Mit Cradle to Cradle können wir Menschen Nützlinge sein, indem wir komplett umdenken bei der Art und Weise, wie wir handeln, Produkte herstellen und damit wirtschaften.Die Anleitung dafür beschreibt das C2C-Designkonzept. Zunächst muss ich mir die Frage stellen, ob ein Produkt, das ich plane, ein Verbrauchs- oder ein Gebrauchsgegenstand sein wird.Ein Verbrauchsgegenstand muss aus Materialien beschaffen sein, die biologisch abbaubar sind, wenn sie abgerieben werden. Ein T-Shirt zum Beispiel verliert bei jedem Waschgang Tausende von Mikropartikeln. Dass sie ins Wasser gelangen, lässt sich nicht verhindern, bedingt durch den mechanischen Vorgang. Deshalb müssen diese Mikropartikel biologisch abbaubar sein. Für Schuhsohlen, Fahrrad- und Autoreifen gilt dasselbe. Gebrauchsgegenstände sind meist technische Geräte, ergänzend zum Fahrradreifen der Rahmen. Diese Produkte müssen so designt und hergestellt werden, dass ich alle verwendeten Materialien sortenrein trennen, diese immer wieder recyceln und weiter nutzen kann. Einmal sprechen wir hier von biologischen und einmal von technischen Kreisläufen: In einem oder in beiden Kreisläufen müssen alle Produkte zirkulieren können. Das ist die Voraussetzung.

Das Konzept erhöht den Anreiz, die Maschine so zu bauen, dass sie gar nicht erst kaputt geht“

Sind wir dann frei von Kaufsünden?

Im Idealfall ist das so, ja. Das ist heute aber natürlich noch nicht der Fall.

Welche Pflichten bleiben in der Verantwortung des Herstellers und entlasten Konsumenten?

Zirkuläre Geschäftsmodelle können Herstellern einen Anreiz geben, Verantwortung für ihr Produkt zu übernehmen. Etwa, indem nicht mehr der Gegenstand an sich verkauft wird, sondern nur noch dessen Nutzung. Bei Wasch- oder Spülmaschinen gibt es das bereits. Dabei geht die Maschine nicht mehr ins Eigentum über, sondern ich bekomme sie und bezahle den Hersteller nur für die Waschleistung, die diese Maschine erbringt. Und wenn sie kaputt ist oder ich sie nicht mehr haben möchte, dann nimmt er sie zurück. Er kann sie dann komplett auseinander nehmen, als Ersatzteillager für andere Maschinen verwenden oder eine Neue daraus zusammen stellen. Carsharing geht auch in diese Richtung: Ich besitze kein eigenes Auto mehr, sondern teile mir mit ganz vielen anderen Menschen eins.Das Konzept erhöht beim Hersteller den Anreiz, die Maschine so zu bauen, dass sie möglichst gar nicht erst kaputt geht, und wenn sie das doch tut, dass sie dann auch reparabel ist und alle Materialien sortenrein trennbar sind. Für viele elektronische Produkte, für die es heute noch keine skalierbaren kreislauffähige Lösungen gibt, sind das mögliche Übergangsszenarien.

Man könnte Textilien theoretisch nach Ihrer Nutzung einfach kompostieren“

Erste Schritte einer C2C-Linie von C&A 2017 nutzten ausschließlich Bio-Baumwolle für ein Produkt, auch Nähte oder Labels. Damit wird Mode doch in ihren gestalterischen Formen eingeschränkt.

Mode nach C2C hat heute nichts mehr zu tun mit nachhaltigen Textilien von vor 20 Jahren, wo alles gleichfarbig ist und man dem Textil sofort ansieht, dass es nachhaltig hergestellt wurde.Textilhersteller, die nach C2C produzieren, haben heute relativ breite Paletten an C2C-Produkten – auch C&A. Dazu gehören unterschiedlich farbige T-Shirts undLongsleeves. Mittlerweile sind auch Pullis und Jeans dabei. Diese Kleidung hängt bei den meisten Herstellern in den Läden gleich neben den konventionellen Produkten.

Es gibt also Textilien, die vollständig biologisch abbaubar wären, weil sowohl der Rohstoff selbst als auch die verwendeten Farben und Nähgarne biologisch abbaubar sind und keine Schäden in der Umwelt hinterlassen. Man könnte sie theoretisch nach Ihrer Nutzung einfach kompostieren. Da der*die Konsument:in aber nicht genau unterscheiden kann, welches Textil dafür geeignet ist und welches nicht, darf man Textilien nicht in die Biotonne werfen.

Mode lebt von kreativen Prozessen, unterschiedlichen Material-Kombinationen, Farben und Formen.

Zeitgemäßes Design und C2C schließen sich nicht aus. Nehmen wir mal das Beispiel Jeans: Die besteht aus Stoff, Farbe, Garn, Reißverschluss, Knöpfen und Nieten. Alle diese Bestandteile können nach C2C hergestellt werden. Wenn das Produkt zusammen kommt ist es wichtig, dass es so verarbeitet wird, dass sich die Einzelteile danach wieder problemlos voneinander trennen lassen. D.h. Nieten und Reißverschluss können herausgelöst, das Metall wieder eingeschmolzen und recycelt oder direkt weiter verwendet werden. Der Stoff, der mit einer C2C-Farbe behandelt wurde, kann recycelt werden und aus diesem Recycling-Material können wieder neue Textilien entstehen. Für die Arbeiter:innen im globalen Süden würde es bedeuten, dass sie beim Färben der Textilien keinen giftigen Chemikalien mehr ausgesetzt wären, sondern ausschließlich biologisch abbaubaren Farbstoffen, die ihrer Haut und ihren Atemwegen nicht mehr schaden. Und das gilt natürlich auch für diejenigen, die das Textil dann tragen. Wenn sich dieser Ansatz durch die gesamte Wertschöpfungskette zieht, dann sind dem Design von qualitativ wirklich guten Textilien keine Grenzen gesetzt. Und das ist auch das Ziel: Wenn ein Unternehmen einen Prozess konsequent nach C2C plant, dann nimmt es seine Lieferkette ganz automatisch mit.


VERBRANNTES GUT - Aktiv im Thema

rohstoffwissen.org | Die Initiative informiert über Recycling und Rohstoffkreisläufe.
femtastics.com | Hier versammelt das feministische Magazin Geschichten rund ums Plastik.
plastikalternative.de/plastikfrei | Der Shop hält einen Ratgeber zu jeglichen Plastikalternativen bereit.

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Interview: Nina Hensch

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