engels: Frau Schägg, was versteht man genau unter Upcycling?
Elena Schägg: Wir von der Deutschen Umwelthilfe sehen das Upcycling zwischen Abfallvermeidung und Recycling, quasi eine Art Wiederverwendung. Grundsätzlich ist Upcycling eine tolle Sache. Es geht darum, dass man sich mit den Dingen, die man besitzt, auseinandersetzt und schaut, wie sie anderweitig verwenden werden können. Nehmen wir als Beispiel die Kleidung eines Babys. Wenn Sie die noch tragbaren, aber zu klein gewordenen, Klamotten Ihres Sohnes an die Eltern eines anderen Kleinkindes weitergeben, ist das im Sinne des Umweltschutzes ideal. Das Kleidungsstück wird länger genutzt. Ist das Kleidungsstück aber stark beschädigt, ist es am besten, wenn Sie daraus zum Beispiel eine Tasche nähen. Das ist dann Upcycling.
Man hatte eine Weile den Eindruck, dass Upcycling in aller Munde war. Wie verbreitet ist es heute?
Den Trend des DIY gibt es nach wie vor, ich habe den Eindruck, dass er nicht mehr so sichtbar ist wie das eine Weile der Fall war. Upcycling hat durchaus einen sozialen Faktor: Man trifft sich, bastelt gemeinsam an Dingen oder initiiert Tauschbörsen. Dieses Zusammenkommen hat natürlich in der Corona-Zeit sehr gelitten und war eingeschränkt. Inzwischen sehen wir einen starken Trend der Plastikmüllvermeidung, Kosmetik oder Reinigungsmittel selber herstellen zum Beispiel.
„Deutschland produziert so viel Verpackungsmüll wie kein anderes Land der EU“
Wo liegen die Grenzen von Upcycling?
Nachhaltig sind Upcycling-Ideen besonders dann, wenn ich alte Produkt damit länger nutze, sie vor der Müllverbrennungsanlage bewahre und verhindere, das neue Dinge hergestellt werden müssen. Es ist also wenig sinnvoll und eher sogar von Nachteil, wenn man aus Mehrwegflaschen Blumenvasen bastelt. Denn diese sind an sich Teil einer Kreislaufwirtschaft, die sehr häufig wiederbefüllt werden sollten. Daher sollte man diese auch nicht dem Wertstoffkreislauf entziehen. Stattdessen können sie eine Einwegglasflasche verwenden, die Sie danach immer noch ins Altglas geben können. Man sollte einfach immer überlegen, ob man das Leben der Materialien wirklich verlängert oder ob sie nicht doch an anderer Stelle gebraucht werden.
Wie groß ist unser Verpackungsmüllproblem?
Sehr groß, da die Politik nicht die notwendigen Schritte einleitet. Inzwischen liegen neue Zahlen von 2019 vor – diese werden immer zeitversetzt veröffentlicht – und demnach ist in Deutschland der Verpackungsmüll noch weiter angestiegen. Deutschland produziert so viel Verpackungsmüll wie sonst kein anderes Land in der EU. Das liegt unter anderem daran, dass bei verpackten Produkten falsche Anreize gesetzt werden. So ist es beispielsweise häufig günstiger, verpacktes Obst zu kaufen als loses. Verpackungen sind für Hersteller viel zu günstig. Die Politik müsste stärker regeln, dass Verpackungsvermeidung für Hersteller attraktiver wird. Zwar gibt es inzwischen eine Plastiksteuer, aber diese zahlen bislang wir Steuerinnenzahler und Zahler und nicht die Hersteller. Dadurch ändert sich kaum etwas. Die Lösung muss unbedingt sein, weniger Verpackungsmüll zu produzieren.
„Die Politik müsste regeln, dass Verpackungsvermeidung für Hersteller attraktiver wird“
Sie sprechen von den Herstellern und der Politik. Wie kann man denn als Einzelperson Verpackungsmüll vermeiden?
Stellen wir uns einen Supermarkt-Besuch vor: Ich gehe mit meinem Korb, meinem Jutebeutel oder meiner Fahrradtasche zum Einkaufen los, dann brauche ich keine Einwegtüte an der Kasse. Bei der Obst- und Gemüseabteilung suche ich mir die unverpackten Sorten aus. Beim Gang zum Bäcker habe ich auch einen eigenen Stoffbeutel dabei, um nicht auf eine Einweg-Papiertüten angewiesen zu sein. Neben Plastiktüten verbrauchen auch Papiertüten in ihrer Herstellung unnötig viele Ressourcen und werden meistens nach einmaliger Verwendung weggeworfen. Bei der Getränkewahl entscheide ich mich für regionale Mehrwegflaschen und -gläser, statt zu Dosen und Einwegflaschen. Damit unterstütze ich auch regionale Wirtschaftskreisläufe. Im Kosmetikbereich wähle ich konzentrierte oder feste Produkte, wie feste Seife oder auch festes Shampoo. Da gibt es zum Glück ein immer größeres Angebot. Letztere scheinen nur auf den ersten Blick teurer zu sein, in der Regel sind feste Seifen und Shampoos aber viel ergiebiger und ersetzen etwa die Menge, die sonst in zwei Flaschen Shampoo enthalten ist. Auch beim Waschmittel sollte man eher zum Pulver greifen als zur Flasche, da für flüssiges Waschmittel viel Wasser quer durch die Republik transportiert wird. Auch achte ich darauf, Umverpackungen zu vermeiden. Es ist beispielsweise absolut nicht nötig, eine verschlossene Zahnpasta-Tube zusätzlich in eine Pappschachtel zu verpacken. Bei Cornflakes stellen sich häufig sogar die Umverpackungen als Mogelpackung heraus und es ist viel weniger Inhalt drin, als suggeriert wird.
„Zero Waste ist zu schaffen“
Wie realistisch ist das Ziel „Zero Waste“? Ist es zu schaffen oder doch eher eine Utopie?
Sagen wir es so: Es ist zu schaffen, aber es ist noch ein langer Weg. Wir sprechen zwar häufig von Kreislaufwirtschaft, aber an vielen Stellen ist davon noch nichts zu sehen. Ein großes Problem sind nach wie vor To-Go-Verpackungen sowie Versandverpackungen – beides hat in der Corona-Zeit stark zugenommen. Es werden noch viel zu wenig Rohstoffe recycelt: Nur 12 Prozent der verbrauchten Rohstoffe fließen als Recyclingmaterial auch wieder in neue Produkte. Auf der anderen Seite bin ich optimistisch, wenn ich viele junge Unternehmen kennen lerne, die Kreislaufwirtschaft neu denken und Dinge verändern wollen. Wir sind aber überzeugt, dass die Politik und die Wirtschaft noch viel mehr tun muss. Man kann die Müllvermeidung nicht ausschließlich auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abwälzen. Die Politik sollte ein klares Abfallvermeidungsziel formulieren. Das gibt es bis heute nicht.
VERBRANNTES GUT - Aktiv im Thema
rohstoffwissen.org | Die Initiative informiert über Recycling und Rohstoffkreisläufe.
femtastics.com | Hier versammelt das feministische Magazin Geschichten rund ums Plastik.
plastikalternative.de/plastikfrei | Der Shop hält einen Ratgeber zu jeglichen Plastikalternativen bereit.
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