Man könnte meinen, Regisseur John Fulljames und Bühnenbildnerin Magdalena Gut hätten sich von einer der größten Baustellen im Ruhrgebiet inspirieren lassen. Einen Raum wie jenen, in dem dem alten Faust sein Leben noch einmal vor dem inneren Auge vorbeizieht, kennt der geneigte Lokalzeitungsleser überall längs der Emscher: ein riesiges unterirdisches Regenwasser-Reservoir mit gewaltigen Ein- und Ausläufen sowie Entlüftungsschächten an die Oberwelt. Auf den Bildern aus der echten Welt stehen behelmte Ingenieure in den unwirtlichen Riesenhallen und verkünden das nahende Ende der Riesenkloake im Bett der Emscher. Auf der Bühne der Dortmunder Oper erwartet Faust – in der Adaption von Charles Gounod – offensichtlich sein eigenes baldiges Ende. Neben dem ledernen Chefsessel, in dem der Alte sich nur noch mühsam aufrecht hält, steht der Infusionsständer. Überwacht wird der Tropf von einer großen Schwester mit knallroter Mähne. Eine stattliche Erscheinung. Gar eine Transe? – Nein, es ist der Teufel persönlich, der sich da in dieses irreale Krankenzimmer eingeschlichen hat.
Die Szene hat etwas schrill Komödiantisches, denn auch der alte Faust sieht mit seinem grauen Zauselbart arg verkleidet aus. Doch die Regie kriegt noch einmal die Kurve. Schauspieler und Sänger tauschen als alter und junger Faust geschickt die Rollen. Und mit dem jungen Faust beginnt eine ganze Reihe von Episoden, die durch den tristen, aber praktischerweise auch sehr neutralen Gedächtnispalast schwappen. Das Konzept hat seine Schwächen. Einen plausiblen Pakt mit dem Teufel kann es darin nicht geben. Dieser fungiert nur noch als innerer Dämon und böse Schicksalsmacht, die vor allem Margaretes Schicksal konsequent dem Abgrund entgegentreibt. Bass Luke Stoker, der sich als Méphistophélès mit Karl-Heinz Lehner und Morgan Moody abwechselt, kann sich eher stimmlich als szenisch hervortun. Immerhin ist das Regiekonzept Fulljames´, des Co-Directors von Covent Garden, solide und handwerklich gut umgesetzt. Musikalisch ist die Produktion sogar wirklich herausragend. Lucian Krasznec, der zu dieser Saison eigentlich schon nach München gewechselt ist, kommt für sein Rollendebüt als Faust noch einmal nach Dortmund zurück. Ein Glücksfall: Sein Faust ist kraftvoll und strahlend. Eleonore Marguerre kann als Marguerite ihren eh schon exzellenten Ruf ein weiteres Mal unterstreichen. Jugendliche Leichtigkeit und dramatische Kraft gelingen ihr gleichermaßen und eröffnen ein enormes Ausdrucksspektrum.
Auch in den kleineren Partien lässt dieser Faust nichts zu wünschen übrig. Die Mezzosopranistinnen Illeana Mateescu und Almerija Delic überzeugen als Siébel und Marthe ebenso wie Bariton Gerardo Garciacano, der sich mit Sangmin Lee die Rolle des Valentin teilt. Auch am Pult steht mit dem Ersten Kapellmeister Motonori Kobayashi einer der Dortmunder Spitzenkräfte und serviert romantischen Klangzauber ohne Makel.
„Faust (Margarete)“ | R: John Fulljames | Do 3.11., Fr 11.11.19.30 Uhr | Opernhaus Dortmund | 0231 50 27 222
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