Wer sich schon einmal näher mit dem Fürstentum Liechtenstein beschäftigt hat, wird das Land nicht unbedingt mit einer fortschrittlichen Politik in Verbindung bringen: Nirgendwo in Westeuropa wurde das Frauenwahlrecht später eingeführt, bis heute kann der Fürst im Alleingang ein Veto gegen alle Entscheidungen des Parlaments einlegen und beim Trockenlegen des Landes als Steueroase beugt sich das Fürstentum nur langsam internationalem Druck.
Umso mehr mag folgender Titel erstaunen: Liechtenstein ist Bio-Weltmeister. Etwa ein Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebe im Fürstentum halten sich an die strengen Bestimmungen des Schweizer Labels Bio Suisse. Alle übrigen Betriebe des Landes produzieren gemäß der Integrierten Produktion, die für eine naturnahe und tierfreundliche Landwirtschaft steht. Weltrekord. Begünstigt von milden Föhnwinden und fruchtbaren Böden hat sich so zwischen dem jungen Alpenrhein und den Bergkämmen der Alpen ein richtiges Bio-Musterland entwickelt. Nicht nur Milch, Fleisch und Gemüse produzieren die Liechtensteiner. Auch Joghurt, Käse und hochwertige Fertigprodukte werden im Land hergestellt. Das Bier aus zwei Brauereien genießt unter Experten einen ebenso guten Ruf wie die lokalen Weine.
Dabei gab es bis 1991 im ganzen Land keinen einzigen Biobetrieb. Es mag nicht den positivsten Beigeschmack haben, dass ausgerechnet eine Innovationsstiftung der Liechtensteiner Bank die Biohöfe im Land mit einer großzügigen finanziellen Unterstützung innerhalb weniger Jahre in die internationale Spitzenposition katapultierte. Was aber mit dem Stiftungsgeld geschah, hat ohne Zweifel Vorbildcharakter: Dank umfangreicher Beratungs- und Schulungsangebote schafften es die Familienbetriebe des Landes schnell, ihr ganz eigenes Bioprofil zu entwickeln. Auf einer Webseite kann man ihre Höfe besichtigen: Den Schafzüchter aus Triesenberg, den Weinbauern aus Nendeln, den Obstbaum-Gärtner aus Ruggeli und die Milchviehaltung auf dem Schellenberg. Zufriedene Biofamilien inmitten einer erhabenen Natur, wie sie keine Werbeagentur besser erfinden könnte.
Darüber hinaus fördern einige der Biobauernhöfe auch die Integration von Menschen mit geistigen, psychischen und physischen Beeinträchtigungen. Es sind diese familiären Bindungen, kombiniert mit dem Wissen um eine hochwertige Herkunft, die das Bio-Essen bei den Liechtensteinern hoch im Kurs stehen lassen. Lebensmittel, die im Fürstentum produziert werden, verlassen nur selten die Landesgrenzen. Etwa 45 Prozent ihres Kalorienbedarfs können die Liechtensteiner so aus ihrer eigenen Produktion bestreiten.
Ausgerechnet ein Land, das zu den Reichsten der Welt gehört und eigentlich sein Luxusessen aus der ganzen Welt importieren könnte, setzt somit bei Lebensmitteln auf kurze Transportwege und eine Unabhängigkeit von großen Handelskonzernen. Vom Steuerschlupfloch zum Bioparadies: Es könnte schlimmer laufen.
Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema
Aktiv im Thema
wuppertals-gruene-beete.de | Übersichtsseite über Stadtgärten in Wuppertal
bsmw.de | Biologische Station Mittlere Wupper u.a. mit Projekten wie der Arbeitskreis Obstwiesenschutz
aufbruch-am-arrenberg.de | Seite des gleichnamigen Vereins, u.a. mit Infos zur Farmbox
experimentselbstversorgung.net | umfangreiches Blogprojekt von zwei Selbstversorgern aus Österreich
prinzessinnengarten.net | Webseite der Berliner Prinzessinnengärten Berlin
selbstversorger.de | Infoseite rund um das Thema Selbstversorgung
Thema im Februar ESKAPISMUS
Raus aus dem Alltag, rein ins Vergnügen?
Von kleinen Alltagsfluchten und Realitätsverlust. Wo verstecken Sie sich vor der Wirklichkeit? Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Apfelbaum auf dem Balkon
Selbstversorgung kann ein Garant für Bio-Lebensmittel sein – THEMA 01/17 BIOKOST
„Die Pflanzen gehören dem Garten und der ist offen für alle“
Robert Shaw über die Arbeit im Prinzessinnengarten mitten in Berlin – Thema 01/17 Biokost
Obst fällt vom Baum, nicht aus dem Regal
Heimisches Obst kann man selbst anpflanzen, Fisch sogar auch – Thema 01/17 Biokost
Zum Wohl!
Intro – Rausch im Glück
Konsum außer Kontrolle
Teil 1: Leitartikel – Was uns zum ständigen Kaufen treibt
„Dann übernimmt das Lusthirn“
Teil 1: Interview – Psychotherapeutin Nadine Farronato über Kaufsucht
Teufelskreis im virtuellen Warenkorb
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Caritas-Suchthilfe hilt auch bei Kaufsucht weiter
Lebensqualität gegen Abwärtsspirale
Teil 2: Leitartikel – Drogensucht ist kein Einzelschicksal, sie hat gesellschaftliche Ursachen
„Wir haben das Recht auf Rausch“
Teil 2: Interview – Mediziner Gernot Rücker über die Legalisierung von Drogen
Zwischen Blüte und Bürokratie
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Cannabas-Club e.V. und der neue Umgang mit Cannabis
Gute Zeiten für Verführer
Teil 3: Leitartikel – Das Spiel mit dem Glücksspiel
„Ich vermisse die Stimme der Betroffenen“
Teil 3: Interview – Psychologe Tobias Hayer über Glücksspielsucht
Suchthilfe aus der Ferne
Teil 3: Lokale Initiativen – Online-Projekt des Evangelischen Blauen Kreuzes in NRW hilft Abhängigen
Ausgespielt!
Spielautomaten aus Kleinstädten verbannt – Europa-Vorbild: Rumänien
German Normalo
Zwischen Selbstoptimierung und Abhängigkeit – Glosse
Panzer vs. Schulen
Intro – Kriegszitterer
Multipolare Wirklichkeit
Teil 1: Leitartikel – Der Abstieg des Westens und der Aufstieg des BRICS-Bündnisses
„Zunehmende Unglaubwürdigkeit des Westens“
Teil 1: Interview – Politologe Ulrich Brand über geopolitische Umwälzungen und internationale Politik
Welt am Wendepunkt
Teil 1: Lokale Initiativen – Soziologe Joris Steg über Chancen und Risiken einer neuen Weltordnung
Ausgebeutet und gegeneinander aufgehetzt
Teil 2: Leitartikel – Wie der Westen Afrika in die Dauerkrise gestürzt hat
„Rassismus und Herablassung“
Teil 2: Interview – Historiker Andreas Eckert über die Folgen des europäischen Kolonialismus
Für ein Ende der Ignoranz
Teil 2: Lokale Initiativen – Ausstellung „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ im NS-Dok
Gewalt mit System
Teil 3: Leitartikel – Patriarchale Strukturen ermöglichen sexualisierte Gewalt als Kriegsmittel
„Eine totale Machtdemonstration“
Teil 3: Interview – Kindernothilfe-Mitarbeiter Frank Mischo zu sexualisierter Gewalt in Krisengebieten
Erinnern im ehemaligen Arbeitslager
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Initiative Gedenkort Bochum-Bergen