Was die Häufigkeit ihrer Aufführung angeht, so steht Tschaikowskis „Pique Dame“ eindeutig im Schatten seines „Eugen Onegin“. Schafft es die Oper dann doch einmal wieder auf den Spielplan, dann gerne an verschiedenen Häusern gleichzeitig. So ist eine Inszenierung der Rheinoper zurzeit in Duisburg zu sehen, während nur gut 20 Kilometer weiter östlich die Essener Aalto-Oper nun nachzieht. Die Sorge, dass dadurch nun die große Einförmigkeit in der Opernszene droht, ist allerdings unbegründet. Denn das Kontrastprogramm zwischen der rheinischen „Dame“ von Lydia Steier und der Ruhr-Version von Philipp Himmelmann hätte deutlicher kaum ausfallen können. Nach Steiers emotional oberflächlicher, aber höchst glamouröser Hollywood-Gesellschaft der 1950er Jahre, in die sie den russischen Adel verlegt hat, folgt nun die radikale Zukunfts-Dystopie.
Bühnenbild-Altmeister Johannes Leiacker hat die maximal trostlose Kulisse dazu entworfen: die Gosse im Schatten des Tschernobyl-Kraftwerks.
Darin tummeln sich völlig kaputte Typen – beziehungsunfähig und hart am Rande des gesunden Menschenverstands. Die Adelsgesellschaft hat Regisseur Himmelmann – ebenso radikal – weitgehend aus seiner Inszenierung getilgt und dazu Teile des Dreiakters völlig gestrichen. Von rund zwei Stunden vierzig bleiben in Essen noch gut zwei Stunden übrig, die ohne Pause gezeigt werden. In der Oper wagen das immer noch nur wenige Regisseure. Aber Himmelmanns Konzept, den Fokus ohne überflüssiges Brimborium auf die Hauptfiguren zu richten, geht auf. Das ist erfreulich, macht diese „Pique Dame“ aber auch zu schwerer Kost ohne die musikalische Zückerchen, für die das Publikum Tschaikowski durchaus schätzt. Das Essener Premierenpublikum ist allerdings ganz beim Regisseur: Der Jubel ist am Ende groß und ungetrübt.
Man kann nur dankbar sein, dass Tenor Sergey Polyakov nicht so singt, wie die Regie seine Figur, den Hermann, anlegt: als Loser, der weder im Spiel noch in der Liebe sein Glück findet und dort wieder endet, wo er am Anfang beginnt: in der Gosse von Tschernobyl. Polyakov aber ist ein äußerst vitaler Hermann mit großer dramatischer Kraft und breitem Ausdrucksspektrum. Er singt eine hervorragende Partie, bleibt als Darsteller aber durchaus glaubwürdig.
Einzige Sympathie- und Hoffnungsquelle in dieser kalten Welt ist Gabrielle Mouhlen als Lisa, die vermeintlich unerreichbare Schöne, in die Hermann verliebt ist. Mouhlen singt mit schön klarem, jugendlichem Timbre, bleibt aber etwas im Schatten des starken Polyakov.
Lisa wird Hermanns Liebe übrigens wider Erwarten erwidern – und doch wird er keine Erlösung finden; die Sucht nach dem (Karten-)Spiel ist einfach zu groß. Sie macht Hermann zum Mörder an der alten Gräfin, der Großmutter Lisas, die das Geheimnis des perfekten Blatts kennt. In Essen wandelt Helena Rasker schon vor ihrem Bühnentod als Gespenst umher – in ihrer Hand meist das Porträt der Zarin Katharina. Alle trauern hier besseren Zeiten hinterher, während die Gegenwart nur noch Stagnation verheißt. Rasker vermag Melancholie und Trostlosigkeit auch stimmlich überzeugend zu transportieren.
Die entschlackte Pique Dame ist ein Kammerspiel, die unter dem Dirigat von Tomás Netopil auch so klingt: schlank und transparent, durchaus mit emotionaler Tiefe, aber weitgehend vom romantischen Kitsch befreit. Zu dieser Inszenierung passt das optimal. Jedem gefallen wird es nicht unbedingt.
„Pique Dame“ | R: Philipp Himmelmann | 3.11. 18 Uhr, 13.11., 11.12. je 19.30 Uhr, 16.11. 19 Uhr | Aalto-Oper Essen | 0201 812 22 00
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