»Miss L's Seele, erleuchte mich. / Miss L's Leib, nähre mich. / Miss L's Blut, berausche mich. / Miss L's Tränen, reinigt mich. / O gütige Miss L, vergib mein Flehen / Und birg mich in Deinem Herzen, Und vor meinen Feinden beschütze mich. / Hilf mir, Miss L, hilf mir, hilf mir. / In saecula saeculorum. Amen.«
Skandal für Skandal, Jahr für Jahr spielt die Kirche Shrike mehr in die Karten. Voller Inbrunst stürzt sich die Journaille auf die Verfehlungen der Unfehlbaren. Der Feuilletonredakteur hat die Heilslehre fest im Würgegriff. Den Medien gehört nicht mehr nur die Deutungs-, sondern längst die Glaubenshoheit. Nix „Anima Christi, sanctifica me“mehr! Die von irgendwelchen Mogulen zertifizierten It-Kolumnistinnen und die in ihrem Windschatten segelnden selbstauthentifizierten Facebook-Sektiererinnen blasen uns den Marsch, wo dereinst noch die gute alte Kummerkastentante herhalten musste: „Miss Lonely Hearts“ (Manesse); 1933 selbstredend noch ein Kummerkastenonkel (noch dazu von puritanischem Wesen), den Nathanael West in seiner so kratzbürstigen wie weitsichtigen Satire auf Sinnsuche schickt: American Dream versus Erlösung auf Erden. Doch was soll das apostolisch angehauchte Greenhorn dem jugendlichen Vergewaltigungsopfer, der zur Gebärmaschine umfunktionierten, todkranken Ehefrau diktieren? Was dem Mädchen ohne Nase, bei deren Anblick die Eltern nur noch weinen können? Der Zeitgeistredakteur jedenfalls lacht sich ins Fäustchen. / Vermutlich würde Shrike Miss L heutzutage mit einem süffisanten Grinsen L.R. Carrinos „Der Verstoß“ (Pulp Master) in die Hand drücken: eine radikale Social Beat-Novelle, die die noch längst nicht abgefrühstückte Coming-Out-Problematik ins homophobe Mafia-Milieu verlegt. Die ehrenwerte Gesellschaft kennt kein Erbarmen. Mindestens genauso wenig die unterminierte Ehefrau. Und am wenigstens das eigene Moralimplantat. Arme Miss L. / Dagegen wäre Denis Thériaults „Mich gibt es nicht“ (dtv) für sie/ihn regelrecht eine Erlösung. Schon in der Zusammenwürfelung des Haufens Obdachloser – von taubstumm bis eingeboren – offenbart sich der schöngeistige Wunsch nach einem „Schutzschild gegen die Unbilden des Lebens“ (um mal den Klappentext zu zitieren). Oder um es krasser zu formulieren: Scheiß auf die „Kraft der Imagination“ (ebda)! Mit Wille und Vorstellung kommt vielleicht der selbstgerechte Bildungsbürger weiter, aber auch nur, wenn er nicht in ner stillgelegten Keksfabrik (¡jesses!) vor sich hinvegetiert – und zur Rettung seiner ganzen Malaise auf nen Psycho-Doc zurückgreifen kann. / Wenn schon eine Kunst zur Erlösung, dann träumen wir doch lieber von einem maskierten Reiter, der mit Mantel und Degen versucht, den Tyrannen und Habgeiern des Wilden Westens die Leviten zu lesen. Natürlich nur mit bedingtem Erfolg: a) aus verkaufstechnischen Gründen, da Johnston McCulley die Legende um den „Fuchs“ als Heftchenserie konzipierte, und b) weil die Gier eine Hydra ist. Im Grunde müssen wir Shrike also Recht geben: Die Welt steht im „Im Zeichen des Zorro“ (Unionsverlag); allerdings ohne Aussicht auf Rettung. Die findet sich aber auch nicht in der Kunst, die vielmehr als Abbild des irdischen Dilemmas zwischen humanistischem Ideal und evolutionärer Getriebenheit von der ewigen Sehnsucht nach einem Frieden auf Erden profitiert. / Entsprechend heißblütig verfolgt man, wie Joe R. Landsdales rothaarige Amazone Sunset zunächst ihrem brutalen Ehemann den Kopf wegbläst und dann als Constable das Gesetz selber in die Hand nimmt, um Machismo, Rassismus und Raffsucht aus Camp Rapture zu vertreiben. Doch der Ölboom hat in Texas gerade erst eingesetzt. Den alles verzehrenden Heuschrecken lässt sich selbst mit einem „Kahlschlag“ (suhrkamp) nicht der Garaus bereiten. Vielmehr hinterlässt dieses Ungeziefer eine Spur der Verwüstung, ehe es einfach weiterzieht, um den nächsten Ponyhimmel zu verwüsten. Und die Moral von der Geschicht‘: Bleib aufrecht, leg dein Priesteramt nieder, der eigenen Mitte zuliebe. Die Erde ist eine Kugel, deren Oberfläche keinen Anfang und kein Ende kennt.
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