In den letzten Jahren schwingt sich die Comic-Kunst zu immer neuen Höhen auf. Jüngstes Beispiel von Meisterschaft ist „Quai d’Orsay“ von Christian Blaine und Abel Lanzac. Ersterer ist hinlänglich bekannt durch seine Serien „Isaak der Pirat“ und „Gus“, letzterer arbeitete unter dem französischen Außenminister Dominique de Villepin als Redenschreiber. Seine Erlebnisse im Vorfeld des Afghanistankriegs hat er nun mithilfe von Blaines dynamischen Farbzeichnungen als teils komische, teils expressive, aber immer spannende Analyse der diplomatischen Machenschaften zwischen Idealismus und Machterhalt umgesetzt. Ein großartiges Werk (Reprodukt). Bastien Vivés hat sich mit „Der Geschmack von Chlor“ und „In meinen Augen“ als genauer Beobachter von Liebesbeziehungen erwiesen. Mit „Das Gemetzel“ widmet er sich abermals dem Thema und beschreibt skizzenhaft all die Höhen und Tiefen einer Beziehung. Eine spielerische, aber treffende kleine Arbeit (Reprodukt).
„Koma“ von Pierre Wazem und Frederic Peeters erzählt in sechs Bänden von Addidas und ihrem Vater. Beide leben als Schornsteinfeger in einer düsteren, diktatorischen Metropole. Science Fiction, Fantasy und Märchen kreuzen dieses Spektakel. Im dritten Band „Wie im Wilden Westen“ findet die Familie zwischen Arbeitslager und unterirdischer Parallelwelt wieder zusammen, im vierten Band werden sie aber weiter verfolgt und flüchten durch eine surreale Fantasiewelt in „Das Hotel“. Niedlich-brutal, düster und bunt – Koma ist eine wirklich außergewöhnliche Serie (Reprodukt). Mit „White Line“ entführt uns auch Calle Claus auf eine böse surreale Reise, dessen Pointe an Polanskis „Der Mieter“ erinnert. Nach einer Party geht der Protagonist mit einer Frau mit und landet in einem irren Albtraum. Ein hermetisches Spiel voller boshafter Ideen (Edition 52). Gegensätzlicher dazu könnte Ulf K.s neues Album „Dolomiti Jahre“ nicht sein. Ulf K. erzählt Kindheitserinnerungen, die sowohl heimelige Geborgenheit als auch die Gefahren hinter der nächsten Ecke thematisieren – alles aus der fantasievollen Perspektive eines Kindes und in schönen, leicht nostalgischen Farbzeichnungen (Edition 52).
„O’Boys“ ist eine düstere Südstaatengeschichte von Steve Cuzor und Stéphan Colman, die von der Freundschaft des angeblich toten weißen Jungen Huck Finn und seinem angeblichen Mörder, dem schwarzen Charley Williams, erzählt. Neben der Kultur der Hobos, Alkohol und Drogen spielt vor allem der Blues eine wichtige Rolle in dieser gelungenen, stimmungsvollen Geschichte aus der Zeit der Großen Depression. „Midnight Crossroad“, der dritte und letzte Band des ersten Teils, endet mit einem furiosen Finale (Ehapa). Mit „Der geheime Garten vom Nakano Broadway“ adaptiert Jiro Taniguchi Kurzgeschichten von Masayuki Kusumi. Wieder einmal gibt es einen Mann in der Midlife-Crisis, der die Kontemplation sucht, um die kleinen Dinge des Lebens wiederzuentdecken. In Japan ist dieser Ausbruch aus dem Hamsterrad noch mal gewichtiger, für uns haben die Geschichten nicht nur einen sentimentalen, sondern mitunter auch einen leicht biederen Beigeschmack (Carlsen). Noch eine Spaziergängerin: Anke Feuchtenberger hat eine ganze Generation von ZeichnerInnen mit ihrem Stil beeinflusst. Zusammen mit Stefano Ricci veröffentlicht die Hochschulprofessorin im Mami Verlag freiere Arbeiten, bei Reprodukt erscheinen ihre Comics. So auch „Die Spaziergängerin“, eine Sammlung mit Geschichten zu verschiedenen Städten, die mal abstrakt-assoziativ, mal vage narrativ sind.
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