Es gibt ihn wirklich, den Venusberg aus dem „Tannhäuser“, jene perfekte Idylle, die den sündigen Ritter ins Verderben stürzt. Es waren die kaum 500 Meter hohen Hörselberge bei Eisenach, die Richard Wagner zu diesem sagenhaften Ort inspirierten, an dem sein Dreiakter „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ beginnt. So wie Wagner in seiner Handlung die Sagen vom Tannhäuser einerseits und vom Sängerkrieg auf der Wartburg andererseits miteinander fusionierte, so flossen auch die Hörselberge als liebliche Hügellandschaft und die sogenannte Venusgrotte, eine natürliche Höhle, in seiner Vorstellung ineinander. So findet sich der tragische Held flugs in einem Waldtal am Fuße der Wartburg wieder, als er den ständigen Genüssen der Venus entsagt.
Traditionsbewussten Wagnerianern sei die Neuinszenierung an der Wuppertaler Oper aber eher nicht empfohlen. Denn Nuran David Caleș, seines Zeichens Drehbuchautor und Regisseur für Theater, Film und Fernsehen, kündigt an, das romantische Waldidyll bei seinem Debüt als Opern-Regisseur radikal umzukrempeln. „Wir beschränken die ganze Welt, die Wagner beschreibt, auf zwei Häuserblocks und einen Straßenzug, in dem alles konzentriert ist“, erklärt Caliș. „Und im Hinterhof ist der Venusberg, also das Rotlichtviertel. Tagsüber sieht man die Fassaden, nachts den Hinterhof, das Vergnügungsviertel.“
Mit Anne Ehrlich zeichnet eine Bühnenbildnerin für diese Kulissen verantwortlich, die ebenfalls vom Filmset ihren Weg über das Sprechtheater zur Oper fand. Regisseur Caliș sieht denn auch eine große Nähe zwischen den Genres Film und Oper: „Oper kommt dem Kino sehr nahe. Man erzählt viel in Bildern“, findet Caliș, „und auch der Herstellungsprozess ist dem Kino gar nicht so unähnlich: mit der akribischen Vorbereitung, weil ja auch so viele verschiedene Komponenten beteiligt sind.“ Doch woher kommt die Idee, „Tannhäuser“ auf den Kiez zu schicken? „Für mich gibt es immer einen Satz oder eine Szene in einem Stück, die für mich den Funken überspringen lässt“, erklärt der Regisseur. „Wenn der Sängerkrieg beginnt, tritt als erster Wolfram auf und singt: ‚Dieses deutsche Land… Ich rieche die Wälder, die Eiche...‘ Da dachte ich: Das ist es! Und ich habe mich gefragt: Wie sähe das heute aus, so ein Sängerkrieg?“
Dass sich Caliș nun erstmals für eine Opernregie begeistern ließ, hängt nicht zuletzt mit dem Dirigenten, dem jungen Generalmusikdirektor Patrick Hahn, zusammen, den Caliș in den höchsten Tönen lobt: „Patrick ist ein Genie. Da habe ich die Chance, mal in zehn Jahren, wenn seine Karriere durch die Decke gegangen ist, zu sagen: Da war ich dabei – bei seiner ersten Arbeit! Das war das ausschlaggebende Kriterium für mich.“
Gesungen wird Tannhäuser übrigens von dem Wiener Tenor Norbert Ernst, der seine Karriere einst an der Düsseldorfer Rheinoper begann. Die Kalifornierin Julie Adams singt die Elisabeth. Simon Stricker (Wolfram), Sangmin Jeon (Walther), Sebastian Campione (Biterolf), Mark Bowman-Hester (Heinrich) und Timothy Edlin (Reinmar) stürzen sich mit dem Tannhäuser in den Sängerkrieg. Die Venus singt Allison Cook, Guido Jentjens den Landgrafen Hermann.
Tannhäuser | 6., 11., 27.3., 30.4., 26.6. je 18 Uhr | Opernhaus Wuppertal | 0202 563 7666
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Besiegt Vernunft die Leidenschaft?
„Orlando“ an der Oper Köln – Oper in NRW 11/24
Unerwartet Kaiserin
„Der Kreidekreis“ in Düsseldorf – Oper in NRW 11/24
Oper trifft heute mal Jazz
Songs & Arien auf der Insel
Schäferwagen und Hexenhaus
„Hänsel und Gretel“ am Opernhaus Wuppertal – Auftritt 11/24
Ohne Firlefanz
Premiere von „Salome“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 10/24
Horror und Burleske
Die Spielzeit 24/25 am Gelsenkirchener MiR – Oper in NRW 07/24
Opern-Vielfalt am Rhein
„Nabucco“ eröffnet in Düsseldorf die Spielzeit 2024/25 – Oper in NRW 06/24
„Kritische Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit“
Kapellmeister Hermes Helfricht über Werner Egks „Columbus“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 06/24
Welt ohne Liebe
„Lady Macbeth von Mzensk“ am Theater Hagen – Oper in NRW 05/24
Ethel Smyth und Arnold Schönberg verzahnt
„Erwartung / Der Wald“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 05/24
Die Gefahren der Liebe
„Die Krönung der Poppea“ an der Oper Köln – Oper in NRW 05/24
Absurde Südfrucht-Fabel
„Die Liebe zu den drei Orangen“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 04/24
Grund des Vergessens: Rassismus
Oper von Joseph Bologne am Aalto-Theater Essen – Oper in NRW 03/24
Verpasstes Glück
„Eugen Onegin“ in Bonn und Düsseldorf – Oper in NRW 02/24
Täuschung und Wirklichkeit
Ein märchenhafter Opern-Doppelabend in Gelsenkirchen – Oper in NRW 02/24
Unterschätzte Komponistin?
„Der schwarze Berg“ an der Oper Dortmund – Oper in NRW 01/24
Geschlossene Gesellschaft
„Flight“ an der Oper Bonn – Oper in NRW 01/24