engels: Herr Steinmüller, erfüllt sich bald das Zitat aus dem Film „Zurück in die Zukunft“: „Straßen? Dort, wo wir hinfahren, brauchen wir keine Straßen!“?
Karlheinz Steinmüller: Welch schöner Traum: „Über den Wolken, da muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“. Aber je mehr sich vertikaler Verkehr durchsetzt, je mehr Flugautos und Drohnen unterwegs sind, desto klarere Regeln wird man benötigen. Am Ende werden wir auf Luftstraßen verkehren, die mindestens genauso stark reguliert sind wie die Straßen am Boden und die Wasserstraßen.
Wie definieren Sie den Begriff der Verkehrswende?
Der Begriff Verkehrswende zielt primär auf einen nachhaltigen Verkehr, der Umwelt und Ressourcen schont und sozial verträglich ist. Ein zentrales Element ist dabei eine Energiewende im Verkehr – Mobilität, die erneuerbare Energien effizient nutzt. Aktuell operiert der Verkehr auf der Erdoberfläche am Limit, was Energie, Raumbedarf, Umweltbelastungen betrifft. Vertikaler Verkehr wäre eine Antwort auf den Raumbedarf, jedoch nicht unbedingt eine für Energie und Umwelt.
Wie schätzen Sie es ein, dass die neuen Techniken oft von den Branchenriesen stammen?
Die Technikgeschichte, auch die Geschichte der Mobilität, kennt vorwiegend Beispiele dafür, dass neue Verkehrsmittel nicht von den großen etablierten Firmen entwickelt wurden. Die ersten Flugzeuge wurden eben nicht von Werften oder Benzinkutschen-Herstellern gebaut, sondern von Bastlern mit Erfahrungen aus dem Fahrradbereich. Allerdings sind heute neben Nischenfirmen wie AeroMobil viele große Autobauer schon in Richtung Flugautos unterwegs. Audi, Daimler und Toyota experimentieren schon mit Flugtaxis. Für die neuen Firmen spricht ihre Geschwindigkeit und Flexibilität, für die großen etablierten Firmen ihre Investitionskraft. Wer die innovativsten und am besten markttauglichen Konzepte hat, wird sich zeigen.
Würden Flugtaxis eine Entlastung der Straßen mit sich bringen?
Bislang gibt ist kein Ende beim Verkehrswachstum in Sicht. Ich vermute daher, dass wir keine Entlastung der Straßen erleben werden, wohl aber eine gewisse Verlagerung von Wachstum in den Luftraum.
Wird sich das gesellschaftliche Leben dadurch in die Höhe verlagern?
Science Fiction-Filme zeigen uns Zukunftsstädte, in denen der Pizzaservice ans Fenster geflogen kommt. Aber Spaziergänge und den Besuch von Gartenrestaurants kann ich mir schlecht auf Höhe der zehnten oder dreißigsten Etage vorstellen. Und denken wir an den Schutz der Privatsphäre: Schon heute diskutieren wir, ob Drohnen einfach ihr Kameraauge auf beliebige Fenster richten dürfen. Urbanes Leben findet dort statt, wo Menschen zu Fuß gehen können. Alles andere sind Luftschlösser.
Könnte der vertikale Verkehr und die damit verbundene Architektur die Gesellschaft eher spalten oder vereinen?
Die Spaltung der Gesellschaft wird ja nicht durch Technologien hervorgerufen, sondern durch die Art und Weise, wie wir unsere Wirtschaft organisieren und ihre Produkte verteilen. Die Spaltung drückt sich dann in der Nutzung von Technologien und in der Architektur aus, traditionell in Slums und Villenvierteln oder neuerdings in Gated Communities. Dass die „oberen Schichten“ auch buchstäblich oben arbeiten (Vorstandsbüros) und wohnen (Penthaus) ist im Prinzip nicht erst seit dem Industriezeitalter der Fall. Insofern liegt es nahe, dass die high society auch künftig eine volocopter society wird. So spart man sich die lästigen Fahrstuhlfahrten und die Begegnung mit den unteren Schichten.
Bräuchte es auch städtische Fluglotsen und fliegende Verkehrspolizei?
Ein massenhafter kleinräumiger Personen-Luftverkehr oder gar Individual-Luftverkehr ist nicht anders vorstellbar als mit vernetzten und smarten (intelligenten) Luftfahrzeugen und auch sehr strikten Regeln. Schon allein aus Sicherheitsgründen. Man kann bei einer Havarie in der Luft eben nicht einfach rechts ran oder auf den Standstreifen fahren. Eine fliegende Verkehrspolizei, die Verkehrssündern nachjagt und sie zur Landung zwingt, halte ich für viel weniger wahrscheinlich als dass es den Luftraum-Überwachungsbehörden möglich sein wird, dem Steuersystem des Luftautos direkt Befehle zu geben.
Bedeutet diese Kontrolle des Luftraums auch mehr Kontrolle über Menschen?
Man kann sich durchaus einen weitgehend anonymisierten Individual-Luftverkehr ausmalen: Dann hätte die Verkehrsüberwachung zwar jedes Luftfahrzeug auf dem Radar, wäre aber nicht über Insassen informiert. Für wahrscheinlicher halte ich jedoch eine stärkere Kontrolle mit Identifikation der Verkehrsteilnehmer einschließlich einer Art Vorratsdatenspeicherung für eine bestimmte Zeit. Spätestens, wenn es die ersten Terroranschläge mit Flugautos gibt. Da oben ist eben nicht das Reich der grenzenlosen Freiheit, sorry.
Wie fällt die Umweltbilanz der fliegende Transport-Mittel aus?
Im Energieverbrauch pro Kilometer nehmen es heute viele Luftfahrzeuge mit Bodenfahrzeugen auf, auch weil man sich in der Luft viel gleichmäßiger und effizienter fortbewegen kann. Wichtig wäre es, die Ökobilanzen für die unterschiedlichen Typen von Lastdrohnen, Lufttaxis etc. im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln zu betrachten. Aber dazu kenne ich keine Studien. Sobald wir einen Elektro-Luftverkehr (wie bei Drohnen) betrachten, fallen selbstverständlich sämtliche Öko-Aspekte von Batterien buchstäblich ins Gewicht, auch die negativen wie die verwendeten Materialien, die Herstellungsprozesse, Recyclingfragen usw.
Stehen die Verkehrsvisionen eher für gesellschaftliche Teilhabe z.B. durch Sharing oder für neue Statussymbole?
Beim mobilen Individualverkehr in der Luft sehe ich große Potentiale für Sharingkonzepte – wegen der Kosten und wahrscheinlich auch wegen des Wartungsaufwands. Flugautos werden sich angesichts ihres hohen Anschaffungspreises nur rentieren, wenn sie fast ständig fliegen und nicht in der Garage oder auf dem Hausdach stehen. Aber Air-Teslas als Statussymbol kann ich mir schon gut vorstellen. Trotzdem: Da oben ist kein Platz für angeberische Raser.
Rückt die vertikal mobile Welt noch enger zusammen?
Ein gut funktionierender Luft-Individualverkehr wird tatsächlich manche Reisezeit verkürzen. In Ballungszentren dauert ja heute oft die Fahrt zum Flughafen länger als der eigentliche Flug – wenn man die Sicherheitskontrollen nicht mitrechnet. Lufttaxis als Flughafenzubringer sind sehr wahrscheinlich ein lohnendes Geschäftsmodell. Und dass Firmen wie Uber auch mit dem Gedanken von Lufttaxis im Regionalverkehr oder zwischen Ballungszentren spielen, lässt mich auch hier wirtschaftlich tragfähige Geschäftsmodelle vermuten. Ob sich Flugautos für den normalen Pendler lohnen, bezweifle ich dagegen. Trotz aller Faszination für die Luft: Um eine Verbesserung des ÖPNV auf dem Boden kommen wir nicht herum.
Haben die Entwickler bereits den Verkehr außerhalb der Erde im Blick? Kommt der Weltraum-Tourismus?
Firmen wie Richard Bransons Virgin Galactic oder Bigelow Aerospace engagieren sich bereits seit Jahren auf dem Gebiet des Weltraumtourismus, und möglicherweise werden sie schon in ein paar Jahren ihren ersten Kunden Schnupperfahrten in den Orbit (oder den suborbitalen Bereich) anbieten. Zielgruppe sind auf unabsehbare Zeit nur Superreiche. Aber hier handelt es sich um Raumfahrt, nicht um Luftfahrt – mit völlig anderen Anforderungen, völlig anderen technischen Konzepten, hohen Entwicklungskosten und langen Entwicklungszeiten.
Staatsministerin Dorothee Bär wurde für ihren Kommentar zu Flugtaxis belächelt, und in Dubai wird schon der Volocopter getestet. Wie stehen wir zu den Verkehrsvisionen?
Visionen bringen uns voran. Welches Land, welche Firma die Nase vorn hat, ist aber schwer zu ermitteln, und das Feld, um es sportlich auszudrücken, verändert sich rasend schnell. Viel von dem, was international heiß diskutiert wird, ist vorerst nur ein Concept-Aircar, ein Designmodell, eine Studie. Viele Ideen, die auf dem Papier – oder im Werbevideo – wahnsinnig gut aussehen, werden auf der Strecke bleiben. Gleichzeitig bin ich sicher, dass wir noch manche Überraschung erleben werden. Die Vielfalt der technischen und wirtschaftlichen Konzepte ist beachtlich. Wer weiß, wer aus der Pionierszene plötzlich buchstäblich zum Shooting Star wird! Das Interesse an „Aeromobilen“ jeglicher Art ist zum Glück auch bei uns in Deutschland sehr hoch. Ich würde mich aber wundern, wenn sich nicht auch Bedenkenträger zu Wort melden würden.
Das Verkehrsministerium hat nun eigens für den Volocopter ein Erprobungsprogramm einer neuen Luftfahrtklasse beauftragt. Was bedeutet so eine Initiative für die Verkehrspolitik?
Ich bin froh, dass man im Verkehrsministerium die Chancen, die sich auf diesem Gebiet ergeben, sieht. Eine vorausschauende Verkehrspolitik ist auch hier sehr wünschenswert, zumal weil es einen ganzen Sack offener regulatorischer Fragen gibt. Das beginnt bei der Zulassung und technischen Prüf-Vorschriften, schließt Verkehrssicherheit und Luftwege-Überwachung ein, aber auch Emissionsfragen oder Anforderungen an Landeplätze. Zugleich müssen hinreichend Freiräume für Experimente gelassen werden. Vorreiter und Pioniere sind hier von entscheidender Bedeutung, denn einerseits lassen sich an ihrem Beispiel all diese Fragen aufrollen, diskutieren und irgendwann auch lösen und andererseits benötigen gerade sie selbst klare Vorgaben aus der Politik, um ihre Produkte und Dienstleistungen für den vertikale Mobilität angemessen gestalten zu können. Ich bin sicher, dass von neuen Luftverkehrsmitteln Impulse für Innovationen auf vielen anderen Feldern ausgehen werden: von den Materialwissenschaften und der Informationstechnik bis hin zur Landwirtschaft und zum Gesundheitswesen.
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Realitätsschock
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