Bücher setzen Duftmarken. So verströmt das Buch einer Ärztin mit dem Titel „Was ist Liebe?“ ein leichtes Schokoladenaroma. Eine „Kulturgeschichte des Buches“ riecht hingegen leicht herb nach Ohrenschmalz und ein Schmöker über alte Herren kann auch schon einmal den Geruch von alten Herren annehmen. Die Designerin Bernadette Engel ist zu diesen Ergebnissen gekommen, als sie sich bei ihrer Recherche in zahlreichen Fachbibliotheken Deutschlands einmal ganz der Führung ihrer Nase überlassen hat. Mit einem Text aus der Mail-Box hätte sie vergleichbare Erfahrungen nicht machen können. Die digitale Welt kennt keine olfaktorischen Herausforderungen. Eine Tatsache, die wir ungefragt hinnehmen. Das war nicht immer so, in Patrick Süßkinds Roman „Das Parfüm“ beschleicht die Hebamme ein Schaudern, als sie bemerkt, dass Grenouille – der neugeborene Held – geruchlos ist. Süßkinds Roman, der in der urbanen Welt des frühen 19. Jahrhunderts mit ihren feuchten, unbeheizten Häusern spielt, gibt uns eine Vorstellung davon, wie der Geruch aus unserer Alltagswelt verschwand.
Dass die Gerüche eine ganz kurze Leitung zu unseren Emotionen und Erinnerungen unterhalten, ist nicht alleine den Neurologen bekannt, auch in der Kunst gab es immer schon ein besonderes Sensorium „Für den tieferen Sinn“. So lautet der Titel eines Buches, das sich wie eine kleine Wunderkammer ausnimmt, die man in jedem ihrer 23 Kapitel betreten kann, um stets neue Erkenntnisse über die Bedeutung von Düften zu erhalten. Wie riecht eine Stadt – hier am Beispiel von Berlin beschrieben? Wie entstand in Köln mit Farina die älteste Parfümmarke der Welt? Wie riecht Sauberkeit? Wie wird ein Duft zum Erkennungsmerkmal eines Produkts. Wie wird unsere Welt riechen und schmecken, wenn computergenerierte Gerüche technisch ausgereift sind? Schon jetzt könnte man im Kino bei einem Schusswechsel auch das Schießpulver riechen.
Wo es um Sinn und Bedeutung geht, ist uns die Kunst meist einen Schritt voraus. Die New Yorker Künstlerin Martynka Wawrzyniak treibt die Idolisierung von Stars gepaart mit ihrer Kommerzialisierung durch die Kosmetikindustrie raffiniert auf die Spitze. Mit Hilfe von Fettbandagen gewinnt sie Gerüche ihres Körpers, die als kostspielige Parfüms in den Handel gelangen. So kann man den Geruch ihrer Haare, ihres Schweißes nach den Yoga-Übungen oder ihren Schlafgeruch in Flakons erwerben. Eine dezent erotisierte Anzeigenwerbung fehlt ebenfalls nicht. Wie einen Spiegel hält sie uns die medialen Strategien der Fetischisierung vor. Denn Nähe verheißt Intimität und Intimität ist ein Garant für unser Bedürfnis nach Intensität. Die beiden Herausgeber Martin Hegel und Matthias Wagner K lassen Wissenschaftler, Künstler, Designer und Autoren zu Wort kommen. Und mit jedem dieser zupackend geschriebenen Essays erhält man eine Vorstellung davon, wie der Geruch den anderen Sinnen eine Aura verleiht, die sich tief in unser Gedächtnis einschreibt. Ja, im Grunde von dort auch nie wieder verschwindet. Eine ungemein belebende Lektüre, die Lust auf die Welt da draußen und das Spiel mit ihren Bedeutungen macht.
Martin Hegel u. Matthias Wagner K (Hg.): Für den tieferen Sinn – Duft als Medium in Kunst, Design und Kommunikation | Spielbein Publishers | 224 Seiten | 34,90 €
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