Schon mal eine Flussfahrt bei Nacht erlebt? Während der lit.Cologne ist das möglich. Man sitzt hinter den Fenstern der MS RheinEnergie und sieht das Lichtermeer der Domstadt an sich vorbei ziehen. Sehr romantisch. Dazu liest die Französin Emmanuèle Bernheim einen Text, in dem sie Überlegungen anstellt, wie die Existenz ihres Vaters vom Leben zum Tod befördert werden kann. Auch romantisch. In ihrem neuen Buch „Alles ist gutgegangen“ beschreibt Emmanuèle Bernheim, wie ihr 88-jähriger Vater sie nach einem Schlaganfall bittet, ihm dabei dabei zu helfen „Schluss zu machen“.
Mit der größtmöglichen Präzision versucht die 62-Jährige die Situation im Krankenhaus mit ihrem invaliden Vater zu beschreiben, dessen Bewegungsradius sich darauf beschränkt, in ein Butterbrot zu beißen. Ohne nachzudenken versichert sie ihm sofort ihr Einverständnis. Um dann festzustellen, dass sie keinerlei Vorstellungen davon besitzt, wie diese Hilfe auszusehen hat. Das Buch schildert die inneren und äußeren Konflikte, die sie und ihre Schwester Pascale nun zu bestehen haben. Es kommt der Moment, in dem den beiden die Kontrolle über das ganze Drama verlieren und das Schreiben wird später den Versuch darstellen, das Erlebte so zu sondieren, „dass die Möglichkeit besteht, sich genau an die Ereignisse erinnern zu können“.
Bernheim registriert das Niemandsland der Krankenhäuser, in denen sich diese schicksalhaften Wendungen abspielen und sie lässt uns teilnehmen an ihrem Alltag und dem der Schwester. Alltag ist nicht gefeit vor Banalität. Als alle Formalitäten erledigt sind, sitzen die Schwestern eines Tages mit gezückten Terminkalendern einander gegenüber, um das Sterbedatum für den Vater festzulegen. Während die eine über einen Trip nach Cannes nachdenkt, will sich die andere nicht die Brückentage zwischen den Schulferien zerstören lassen. Ja, Emmanuèle Bernheim folgt ihrem Gebot unbestechlicher Realistik bis zum letzten Satz.
In dieser Klarheit tritt dann jedoch ein wichtiges Moment des Trostes zutage. Der Vater wird noch einmal von einer Woge der Lebensfreude ergriffen, als er erfährt, dass seine Sterbeangelegenheit geregelt ist. Die Töchter beruhigt hingegen die Gewissheit, mit dem Vater gemeinsam ein letztes Abenteuer erlebt zu haben, auch wenn aus dem Titel die pure Ironie spricht. „Alles ist gutgegangen“ wird sich als ein Buch herauskristallisieren, das noch oft zitiert werden wird. Es enthält Humor und eine Aufrichtigkeit, die jeden Anflug von Sentimentalität wie selbstverständlich an sich abgleiten lässt. Trost spendet es aber auch seinen Lesern, weil dieser Bericht Worte für etwas findet, das auch deshalb so quälend erlebt wird, weil sich seine Erfahrung in weiten Teilen der Sprache entzieht. Emmanuèle Bernheim hat der Realität ein Stück Nachdenklichkeit abgerungen, das uns gegenüber dem Todeserlebnis etwas weniger hilflos zurücklässt.
Emmanuèle Bernheim: Alles ist gutgegangen. Deutsch von Hanser Berlin 208 S., 18,90 €
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