Nick Cave tut es, Sven Regener tut es – jetzt auch Thees Uhlmann. Nein, es geht nicht bloß darum, als Musiker einen Roman zu schreiben (da wäre die Aufzählung um einiges länger) – es geht darum, als Musiker einen wirklich guten Roman zu schreiben. Mit „Sophia, der Tod und ich“ liefert der ehemalige Tomte-Sänger, der seit einiger Zeit lieber solo unterwegs ist, ein aberwitziges literarisches Roadmovie ab. Vom kalauernden Kalenderspruch bis hin zu philosophischen Fragen von Leben und Tod ist es bei ihm oft nur ein kleiner Schritt, aber Uhlmann gelingt es, den lockeren und sympathischen Plauderton seiner Ansagen auch auf Papier zu bannen. So hat er den Sprung in die Bestsellerlisten geschafft, ohne jedoch mit seinem Roman Musikerklischees zu bedienen. „Besonders am Herzen lag mir, dass ich keine deutsche Popliteratur schreiben wollte“, erläutert Uhlmann, „ich wollte ein Buch schreiben, das auf eine bestimmte Art und Weise universell ist. Das führt dann dazu, dass es keine Angelpunkte gab, an denen man sich schnell festhaken konnte. Wenig Marken, kein Handy, kein Internet, keine Ortsnamen, keine (Pop-)Musik. Der andere Aspekt, der mir wichtig war, dass der Roman unterhalten soll. Ein Buch vielleicht auch für Leute, die nicht so viel lesen und sich mit den Codes und Nuancen von (Hoch-)Literatur nicht so auskennen. Ach verdammt, ich wollte einfach ein Buch schreiben, wie ein Ramones-Song.“
Ein Buch wie ein Ramones-Song
Dieser Song setzt ein, als der Tod an der Tür des Ich-Erzählers klingelt und diesem noch drei Minuten Zeit gewährt, sich vom Leben zu verabschieden. Doch gerade in dem Moment, als der Erzähler stirbt, klingelt es erneut an der Tür: Sophia, seine Ex-Freundin, stört so die Arbeit des Todes, und nun kann sie sich nicht weiter als 400 Meter von den beiden Männern entfernen, ohne selbst zu sterben. Der Tod wiederum findet Gefallen daran, sich länger als üblich in der Welt aufzuhalten. So beginnt eine skurrile Reise, die das seltsame Gespann zunächst zur Mutter des Erzählers und dann zu seinem Sohn führt, den er nie kennenlernen durfte, dem er aber seit acht Jahren täglich eine Postkarte schreibt. Der Tod stellt hierbei sonderbare Regeln auf, folgt einer sehr eigenen Logik. Uhlmann gesteht ein, dass er hierfür kein Handlungsschema entworfen, sondern vielmehr aus dem Lesefluss heraus gearbeitet hat: „Na, ich habe das Buch quasi beim Schreiben geschrieben. Und deswegen habe ich das Schreiben auch als rauschhaft empfunden. Ich hatte keine langen DIN-A4-Listen in meiner Wohnung, was der Tod alles für Regeln hat, wie die Biografien aussehen könnte. Ich habe beim Schreiben einfach – high auf Koffein und Nikotin – darüber nachgedacht, wie es alles sein könnte und es dann aufgeschrieben. Vielleicht wäre es mit Notizen runterschreiben leichter gewesen, aber das ist glaube ich einfach nicht so meine Art. Sondern meine Art ist dann eher das ‚Bäm Bäm Bäm‘. Naja, man macht diesen Job dann ja vielleicht auch wegen dem ‚Bäm Bäm Bäm‘.“
Söhne und Töchter
Ein zentrales Motiv des Romans sind Vater-Sohn-Beziehungen. Der Autor selbst ist Vater einer Tochter. Auf die Frage, ob er sich auch eine Vater-Tochter-Beziehung innerhalb des Romans hätte denken können oder ob dies möglicherweise zu dicht an die eigene Biografie herangereicht hätte, antwortet er: „Ja, das könnte sein. Ich wollte das Buch schon weit weg von meiner Biografie halten. Das wäre mir auch zu stumpf und hätte mich nicht an den Rand geführt, mein eigenes Leben aufzuschreiben. Ich habe aber andere Aspekte aus meinem Leben benutzt, bei denen ich mich auskenne. Alterspflege und Altersheim zum Beispiel. Ich empfinde solche Berufe als unterprivilegiert in ihrer Wahrnehmung, und da dachte ich, dass es an der Zeit wäre, mal solche gesellschaftlichen Plätze zu beschreiben.
Das andere ist eben auch, dass ich ja ständig meine Tochter sehe, wenn ich nicht auf Tour bin, aber mir die Gefühle bekannt sind aus dem näheren Freundeskreis, wie es ist, wenn man seinen Sohn nicht sehen darf. Ich glaube, deswegen ist es so gekommen. Es ist ja auch kein Buch über Kinder, sondern mehr ein Buch über die Reise zu den letzten Dingen, die einem wichtig sind.“
Bei der Lesung eingeschlafen
Seit Erscheinen des Romans befindet sich Thees Uhlmann auf ausgedehnter Lesereise. Diese führt ihn in Buchhandlungen und Theater – aber auch in Clubs, auf deren Bühnen sonst Musik gemacht wird. Da war zum Beispiel der Rolling Stone Weekender am Weißenhäuser Strand, wo Thees Uhlmann mit Band 2013 als einer der Headliner gespielt hat. Was ist das für ein Gefühl, solche Bühnen nun ohne Gitarre und mit Buch zu betreten? „ Ich sage es jetzt einfach mal: Es ist wunderschön. Es bringt einen riesigen Spaß, einfach nur mit meinem Buch auf die Bühne zu latschen und vor-zu-lesen. Es ist ja noch eine Spur archaischer, um das Lagerfeuer herum eine Geschichte zu erzählen. Neulich meinte einer zu mir: ‚Ich bin bei der Lesung kurz eingeschlafen.‘ Und ich habe das als großes Kompliment empfunden. Die Besucher meiner Lesung verstehen, was ich will, sie glauben mir, und ich lese so gut ich kann. Es ist auch einfach witzig, an einem Ort alleine zu lesen, bei dem man das letzte Mal zu sechst auf der Bühne mit 120db stand. Ich muss sagen, es hat sich so entwickelt, dass mit diesen Lesungen für mich auch einfach ein Traum in Erfüllung geht.“
Von Kreator zu Foucault
Ein weiterer Traum dürfte am 27. Januar in Erfüllung gehen, wenn ihn die Lesereise in die Essener Zeche Carl verschlägt. Hier in Altenessen hatte in den 80er Jahren die deutsche Thrash-Metal-Legende Kreator(„Pleasure to Kill“)um Sänger und Gitarrist Mille Petrozza ihren Proberaum – und Uhlmann, der bisweilen als „Springsteen von Niedersachsen“ tituliert wurde und mit seiner eigenen Band weit von Metal entfernt ist, zählt diese Band zu seinen frühen musikalischen Vorbildern. Und tatsächlich erfüllt auch Uhlmann das Klischee des treuen Metalfans: „Wenn ich einmal angeben darf, Mille Petrozza war nach der Lesung am Tag, als das Buch rauskam, in Berlin in meiner Wohnung und wir haben gefeiert. Und alles, was ich mit ‚Kreator‘ erleben darf, bedeutet mir immer viel, da ich so eine gewisse Stringenz in meinem Leben spüren kann. Und natürlich ist es etwas Besonderes da zu lesen, wo Kreator begonnen haben zu leben. Aber auf der anderen Seite ist es ja auch einfach Sinn der Sache, mit diesem Buch die Orte mal zu verlassen, die man so kennt. Ich freue mich auch sehr darauf, in Buchhandlungen zwischen ‚Shades of Grey‘ und Foucault zu lesen.“
Als Uhlmann im Oktober 2014 gemeinsam mit Kraftklub und Marcus Wiebusch in der Westfalenhalle das „Visions“-Jubiläum feierte, gab er eine Liebeserklärung ans Ruhrgebiet ab. Dem Revier fühlt er sich sehr nahe, er könnte sich vorstellen, hier zu wohnen. Sein Song „Weiße Knöchel“ greift die Atmosphäre in der Region auf. Auf eine Lieblingsstadt an der Ruhr möchte sich der Sänger allerdings nicht festlegen: „Ich habe keine Lieblingsstadt. Dafür bin ich immer zu selten an einem Platz lang genug, um richtig in ihn einzutauchen. Aber neulich war ich – nach „punk im pott“ – wieder mal in Oberhausen zum David-Gilmore-Konzert. Was da für ein Gebräu am HBF stand aus Prog-Fans, RWO-Fans, Arbeitern, Alkis – und das nahe einer der schönsten Wohngegenden des Ruhrgebiets. Das war einfach wieder fantastisch. Ich glaube, es ist das vermischte Nebeneinander, das mir am Ruhrgebiet so gut gefällt.“
Thees Uhlmann: Sophia, der Tod und ich | Kiepenheuer & Witsch | 320 S. | 18,99 Euro
Lesung: Mi 27.1. 20 Uhr | Zeche Carl
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