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Abschied des Glücks wegen

28. Juni 2022

Von der Leichtigkeit der Entwurzelung – Teil 3: Leitartikel

Sonnig war es am Pfingstsamstag. Sonst nie. Wie ich diesen Text schreibe (und überlege, warum ich so einen öden Einstieg ins Thema gewählt habe wie das Wetter), blicke ich dann und wann aus dem Fenster des häuslichen Büros und sehe vor mir eine Bochumer Innenstadtfassade und es regnen. Heute plästert es immerhin schön kräftig. Richtiger Regen und nicht so ein unentschlossenes Dauergrauklamm.

Ich bin sicherlich nicht der einzige, der sich angesichts der Tristesse vor der Tür nach wärmeren Gefilden sehnt. Anders als vielen anderen steht es mir allerdings frei, das Land jederzeit zu verlassen. Wohin ich will und wie lange ich will. Ich bin ein sogenannter digitaler Nomade.

Was nicht im Reiseführer steht

Das bedeutet, dass ich meine Arbeit größtenteils am Computer erledige, den ich dank seiner Laptophaftigkeit überall hin mitnehmen kann. Was mir dann noch fehlt, um mich über Wasser zu halten, ist ein Internetanschluss und ein kalter Cocktail. Wenn ich wollte, könnte ich nämlich am Strand arbeiten. Davon rate ich aber ab. Sie können das USB-Gerät nun sicher – knirsch! – entfernen.

Die größte Freiheit, die ich mir dabei erlaube, ist die, mich auch länger an einem Ort aufzuhalten. „Der sicherste Ort für ein Schiff ist der Hafen – aber dafür wurden Schiffe nicht gebaut“ heißt es. Aber was nützt das Schippern, wenn es einen nur endloses Meer sehen lässt? Nein, die Häfen sind doch das Interessante am Reisen. Eine Kultur erschließt sich nicht, wenn man sich zwei Kirchen und olle Ruinen ansieht. Das Land lernst du beim Schmausen kennen, auf der Straße und im Schlafzimmer. Mindestens ein Monat sollte es für mich schon sein. Dann bleibt genug Zeit fürs Arbeiten, für entdeckungsfreudige Spaziergänge, für exotische Wanderungen, für die hohe museale Kultur und für die untergründige lebendige. Um Menschen kennenzulernen, die einem das zeigen, was nicht im Reiseführer steht.

Abschiede sind fröhlich

So habe ich in Polen Seelenverwandte und Trinkfreunde gefunden, in Zypern einen Freund und Freigeistkumpane, in Bulgarien faszinierende Freundlichkeit und Musikkumpane, und in Georgien habe ich mein Herz verloren. Nein, nicht an eine Frau. Diese Art von Romantik ist nichts für mich. An das Land habe ich mein Herz verloren. Und die Frauen trugen dann doch auch ein wenig dazu bei.

Doch jeden Freund, den ich finde, jede Romanze, auf die ich mich einlasse, muss ich doch auf diese Lebensweise verlassen. Das ist richtig – und ich mag es. Meine Abschiede sind nicht traurig, sie sind fröhlich. Ich lade dann gerne ein letztes Mal ein, auf offiziell baldiges, in Wirklichkeit irgendwanniges Wiedersehen. Ein chaotischer, angetrunkener Weg zum Zug oder Flug verbindet noch zusätzlich.

Man verspricht sich, in Kontakt zu bleiben. Das klappt natürlich nicht immer. Selten sogar. Aber ist denn eine Freund- oder Bekanntschaft immer etwas auf ewig? Das ist doch ein Mythos wie die Hollywood-Liebe. Die Menschen in aller Welt schenkten mir viel Kraft und Inspiration, und ich hoffe, dass sie auch mich in guter Erinnerung behalten. Das gilt auch für meine Kumpel im Ruhrgebiet.

Denn ganz ehrlich: Mit wem aus der Schul- und Studienzeit hast du, lieber Leser, liebe Leserin, heute noch Kontakt? Welchen der netten Arbeitskollegen von früher schreibst du noch? Von wie vielen Menschen, die du im Leben deine Freunde nanntest, hast du im letzten Jahr gehört?

Wir nehmen immer wieder Abschied. Nach der Schule, dem Studium, dem Arbeitsplatzwechsel, wegen der Karriere oder der Liebe. Das ist normal. Aber nimmt man Abschied um des Glücks willen, dann staunen die meisten.

 

UND TSCHÜSS - Aktiv im Thema

zeit.de/zett/2020-06/es-ging-immer-nur-um-sie-so-setzt-du-grenzen-in-toxischen-freundschaften | Anschaulicher Beitrag über ungesunde Freundschaften.
profamilia.de/themen/sexualitaet-und-partnerschaft/trennung-und-scheidung | Der Beratungsverbund gibt Orientierung bei familiären und partnerschaftlichen Trennungen.
lisa.gerda-henkel-stiftung.de/audio_freundschaft?nav_id=6793 | Ein philosophisches Gespräch über Freundschaft im Podcast der Gerda Henkel Stiftung.

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Marek Firlej

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