Ein Geheimtipp! Einer, dem man wünscht, dass es jeder weiß und der doch ein Geheimnis, goutiert nur von wenigen Eingeweihten, bleiben sollte. Ein Stockwerk – das obere der Villa Zanders in Bergisch Gladbach – reicht aus, um zu zeigen, wie eindrucksvoll und vielschichtig die künstlerische Arbeit von Ellen Keusen ist.
Vielleicht ist sie auch deshalb ein Geheimtipp, weil sie in ihrer Variabilität so schwer zu fassen ist. Ellen Keusen arbeitet ohnehin im „sprödesten“ aller Medien und erweitert dieses in alle Richtungen: Sie ist Zeichnerin, es geht um Zeichnung, und das ist bei ihr eben auch mit dem Vokabular des Aquarells, der Skulptur, der Textinstallation, der Audioarbeit (mit Sprache) oder der Collage neben den klassischen Ausdrucksformen der Zeichnung möglich. Andererseits ist Zeichnung gerade nicht alles. Keusen, die 1947 geboren wurde und in Köln lebt, geht ihrem Medium in seiner Essenz auf den Grund. So entstehen figürliche Darstellungen – von Menschen, auch Porträts, etwa mit dem Bleistift, oder von Tieren – ebenso wie abstrakt konstruktive Bilder mit zwei Farbscheiben, die in ihrer Weichheit unter der Blattoberfläche zu liegen scheinen und sich im Verlauf der Bildfolge annähern und sogar überlagern. Neben solch konzentrierten Flächenbesetzungen entstehen dichte Felder aus zeichenhaften Notaten, die im geradezu liquiden Grund wie wild zu wirbeln scheinen. Zeichnung wird zur unmittelbaren Ausdrucksform, die geistige Befindlichkeiten in Bilder fasst und Ruhe, Trauer und Fröhlichkeit signalisiert und immer mit Bedacht gesetzt ist.
Ellen Keusen zeigt, was sich kaum in Worte fassen lässt. Auf dem Blattformat öffnet sich ein immenser Bildraum und das alles passiert mehr als Ahnung, die für Aufmerksamkeit und Einfühlung sensibilisiert. Die künstlerische Verbindlichkeit und die Integrität, die dahinter stehen, werden in den Kabinett-artigen Räumen der Villa Zanders unterstützt durch die Ausstellung in Werkgruppen, wobei jede Bildform ihre eigene Präsentationsweise besitzt. Im mittigen Raum, der sich in alle Richtungen öffnet, steht eine Skulptur aus geklebten Stielen der Esche: raumgreifend und mannshoch in drei Stufen angelegt, scheint sie über dem Parkettboden permanent zu zittern. Sie ist transparente Liniensetzung und damit bereits auf der primären Ebene zeichnerisch angelegt. Man möchte sie auf Zehenspitzen umqueren und zwischen den Zweigen ins Innere kriechen, so berührend ist diese Konstruktion. Auf den Leisten über dem Boden aber stehen – unabhängig davon – mit neutralen, serifenlosen Versalien Sentenzen wie: „Sag mir, was ich Dir verraten soll.“ „Kann ich Ihnen mit einem Sinn dienen?“ Alle Werke von Ellen Keusen wenden sich offensiv dem Betrachter zu und werfen Fragen auf. Die Antworten finden wir schon von selbst.
Ellen Keusen – Zeichnen | bis 1.7. | Kunstmuseum Villa Zanders | 02202 14 23 34
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24
Hinter Glas
Karin Sander im Kunstmuseum Villa Zanders in Bergisch-Gladbach – kunst & gut 05/17
Eine Welt ohne Reue
Schröder-Sonnenstern in Bergisch Gladbach – Kunstwandel 12/15
Spuren des Lebens
„Kunst und Küche“ in Bergisch-Gladbach – Kunst in NRW 12/14
Richter daheim
Gerhard Richter im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 11/24
Menschen allein
Lars Eidingers Ausstellung „O Mensch“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/24
Noch gemalt
„Zwischen Pixel und Pigment“ in Herford und Bielefeld – Kunst in NRW 09/24
Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24
Am Anfang der Abstraktion
Hilma af Klint und Wassily Kandinsky in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/24
Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Ende eines Jahrhunderts
George Minne und Léon Spilliaert in Neuss – Kunst in NRW 01/24
Puls des Lebens
Chaïm Soutine im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/23
Ganz leicht
Christiane Löhr im Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 11/23
Die stille Anwesenheit der Dinge
Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 10/23
Aus anderer Perspektive
Szenenwechsel der Sammlung im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/23
Kunst und Umgebung
„Produktive Räume“ in Haus Lange Haus Esters in Krefeld – Kunst in NRW 08/23
Dialog auf Gegenseitigkeit
„yours truly,“ im Museum Schloss Morsbroich – Kunst in NRW 07/23
Malerei im Fluss
Jan Kolata in Ratingen und in Düsseldorf – Kunst in NRW 06/23
Farben des Lichts
Etel Adnan im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/23
Kunst aus Worten und Sätzen
Jenny Holzer im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 04/23
Draußen, im Licht
Die Ölstudie im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 03/23
Draußen, immer
Ein Skulpturenprojekt in Monheim – Kunst in NRW 02/23