Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
16 17 18 19 20 21 22
23 24 25 26 27 28 29

12.580 Beiträge zu
3.810 Filmen im Forum

Am Königlichen Museum für Zentralafrika bei Brüssel
Foto: Erik_AJV/ Adobe Stock

Das Erbe König Leopolds

28. März 2022

Rückgabe kolonialer Raubkunst – Europa-Vorbild: Belgien

Der Sommer 2020 war der Sommer der gefallenen Denkmäler. In Bristol landete die Statue des Sklavenhändlers Edward Colston im Kanal, in den USA kippten mehrere Denkmäler des Generals Robert E. Lee, der mit den konföderierten Staaten für den Erhalt der Sklaverei kämpfte. In Belgien hatten es Demonstranten auf König Leopold II. abgesehen.Auf dessen Nachdruck erhielt Belgien 1885 den „Freistaat Kongo“ – zunächst als Privateigentum des Königs, ab 1908 als offizielle Kolonie. Die belgische Kolonialherrschaft, die Millionen von afrikanischen Opfern forderte, gilt als eine der grausamsten überhaupt.

Als Leopold-Erbe wird das Königliche Museum für Zentralafrika bezeichnet, in dem sich tausende gestohlene Artefakte und Kunstwerke befinden. Erst 2018 erhielt das Museum in Tervuren eine millionenschwere Renovation, die die Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte fördern sollte. Schon lange wird von der Demokratischen Republik Kongo eine Rückgabe der Raubkunst gefordert. Mit Erfolg.

Anders als die Niederlande, Deutschland oder Frankreich, die bereits zuvor Rückgaben kolonialer Raubkunst ankündigten, geht man in Belgien resolut vor: Artefakte aus „kolonialem Unrechtskontext“ gehen automatisch in den Besitz der DR Kongo über. Bei der ersten Ankündigung galt dies jedoch nur für knapp 1.000 der 80.000 potenziell gestohlenen Objekte. Insgesamt stellt das Museum 120.000 Objekte, von denen ein großer Teil jedoch als unproblematisch gilt. Weiter stuft die Regierung Objekte mit ungeklärter Herkunft – immerhin 35.000 – als „privates Staatseigentum“ ein. Damit verlieren sie den Status als öffentliches Eigentum, was eine automatische Rückgabe zur Folge hat, sollte ein illegaler Erwerb nachgewiesen werden.

Belgien und die DR Kongo trennen hierbei den legalen Besitz von der Rückgabe. Zum einen kann die Restitution so nicht durch logistische Probleme aufgehalten werden, zum anderen könnten einige Artefakte weiterhin ausgestellt werden – nur gehören sie nicht mehr Belgien.

Ende Februar übergab der belgische Premierminister Alexander de Croo im Rahmen des EU-Afrika-Gipfels eine vollständige Inventarliste mit etwa 84.000 Artefakten an den kongolesischen Premier Jean-Michel Sama Lukonde, der dies als „historischen Moment“ beschrieb. Ausgehend von der Inventarliste kann die DR Kongo Anfragen zur Restitution stellen, die daraufhin von einem aus belgischen wie kongolesischen Wissenschaftlern bestehenden Team geprüft werden.

Das Vorgehen anderer Länder steht unter Kritik – es sei zu langsam oder gehe nicht weit genug. Auch weil Argumente benutzt werden, die eine koloniale Sichtweise reproduzieren, wie das angebliche Fehlen von Museen oder adäquaten Möglichkeiten der Aufbewahrung. Auch in der DR Kongo ist es klar, dass man nicht auf einmal zehntausende zurückgegebene Werke ausstellen können wird – der Direktor des Afrikamuseums,Guido Gryseels,betonte aber stets, dass dies keine Voraussetzung für die Restitution sei.

In Deutschland soll dieses Jahr die Rückgabe der Benin-Bronzen beginnen, von denen Teile im Berliner Humboldt-Forum ausgestellt sind. Nigeria fordert seit Jahren die Rückgabe der Skulpturen, die einst von den Briten gestohlen wurden und nun in Europas Museen verteilt liegen. Insgesamt zeigt die Bundesregierung nur bedingten Handlungswillen bei der Rückgabe kolonialer Raubkunst – man wolle einen „substantiellen Teil“ zurückgeben. Das Vorgehen Belgiens lässt in erster Linie Anzeichen einer wirklichen Zusammenarbeit erkennen, an der sich auch Deutschland ein Beispiel nehmen könnte.

 

KOLONIALWAREN - Aktiv im Thema

zdf.de/kultur/13-fragen/kulturelle-aneignung-13f-100.html | In „13 Fragen“ prallen entgegengesetzte Standpunkte aufeinander, hier zur kulturellen Aneignung.
unesco.de/kultur-und-natur/kulturelle-vielfalt | Die deutsche Unesco-Komission informiert über ihre Arbeit zu kultureller Vielfalt und kulturellem Austausch.
Wolfgang-Welsch-Transkulturalität | Der Suchbegriff führt zu einem kompakten PDF, das sich philosophisch mit diversen Kulturbegriffen auseinandersetzt.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de

Leo Thomann

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Mufasa: Der König der Löwen

Lesen Sie dazu auch:

Vom Umgang mit Kolonialkunst
Auftakt der Ringvorlesung „Res(t)ituieren“ im Kubus – Kunst 10/22

Chance vertan
Intro – Kolonialwaren

Raubkultur?
Kulturgut und koloniales Erbe – Teil 1: Leitartikel

„Kultur bedeutet immer, sich Dinge anzueignen“
Philosophin Ursula Renz über kulturelle Aneignung – Teil 1: Interview

Neues Berufsbild für Flüchtlinge
Die Wuppertaler SprInt eG fördert kultursensibles Dolmetschen – Teil 1: Lokale Initiativen

Blutiges koloniales Erbe
In der Klemme: Das Humboldt-Forum zwischen Geschichtsrevisionismus und Restitution – Teil 2: Leitartikel

„Mit den Nachfahren der Kolonisierten zusammenarbeiten“
Museumsdirektorin Nanette Snoep über Raubkunst und die Aufgaben der Museen – Teil 2: Interview

Kunstraub in der NS-Zeit
Forschungsprojekt am Museum für Angewandte Kunst Köln – Teil 2: Lokale Initiativen

Sind Namen Schall und Rauch?
Umstrittene Denkmalkultur im öffentlichen Raum – Teil 3: Leitartikel

„Naiv zu glauben, dass Denkmäler Geschichte abbilden“
Historiker Jonas Anderson über den Umgang mit Deutschlands Kolonialvergangenheit – Teil 3: Interview

Erinnerungskultur vor Ort
Stadtführung „colonialtracks“ über Essens Kolonialgeschichte – Teil 3: Lokale Initiativen

Pardon, wie wichtig ist Ihnen Aura?
Eine absurde Glosse über museale Raubkunst und Walter Benjamin – Glosse

Europa

HINWEIS