„Solange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik“, verkündete Otto von Bismarck 1883. Ein Jahr später fand in Berlin auf Bismarcks Einladung hin die sogenannte Kongokonferenz statt, in der Afrika unter den Kolonialmächten aufgeteilt wurde. Bis heute gibt es etwa 700 Denkmäler, die an den ersten deutschen Reichskanzler erinnern – so auch in Essen. Anfang Februar wurde die Statue vor der Deutschen Bank aufgrund „mangelnder Standfestigkeit“ vom Sockel genommen, eine Wiederaufstellung ist geplant.
Einblicke in die deutsche Kolonialgeschichte
Bismarck ist das prominenteste Beispiel für die Altlasten des Kolonialismus im alltäglichen Stadtbild. Diese Altlasten sichtbarmachen möchte die Exile Kulturkoordination e.V. mit ihrem Projekt „essen.colonialtracks“ – einer Stadtführung, die anhand von sechs Stationen einen Einblick in die Kolonialgeschichte Essens gibt. Es gehe darum, zu zeigen, dass nicht nur Orte wie Hamburg oder Berlin eine koloniale Vergangenheit haben, so Projektleiterin Kerstin Rosery. Zusätzlich zu regelmäßigen Stadtführungen wird ein digitaler Audiowalk angeboten. Infolge der weltweiten Black Lives Matter-Bewegung, die 2020 ihren Höhepunkt erreichte, erlangt auch die bisher wenig beachtete deutsche Kolonialgeschichte mehr Aufmerksamkeit; das bemerke man auch bei den Stadtrundgängen.
Nach der Bismarck-Statue geht es in die Essener Fußgängerzone, in der das Denkmal von Alfried Krupp steht. „Die dankbare Vaterstadt“ steht eingraviert auf dem Sockel des Industriellen, der bereits 1931 eines der „fördernden Mitglieder“ der SS war. Die Krupp-Stiftung kündigte kürzlich an, sich in einer neuen Studie vertieft der NS-Vergangenheit Alfried Krupps zu widmen. Als Stahlbarone und „Waffenschmiede der Nation“ sind die Krupps hinreichend bekannt, dass aber das Kapital für die ersten Hütten mit dem Handel von Kolonialwaren erwirtschaftet wurde, ist weniger geläufig.
Umgestaltung des städtischen Raums
Weitere Stationen sind die Nobel-Kaffeewerke und die Essener Philharmonie, an der 1905 im damaligen Saalbau die deutsche Kolonialgesellschaft zur Hauptversammlung zusammenkam.Im Fokus der Diskussionen um das Erbe des Kolonialismus steht immer wieder der Umgang mit Denkmälern und Straßennamen. Die Kulturkoordination Exile könne sich gut vorstellen, mit Informationstafeln über die kolonialen Verstrickungen Bismarcks oder Krupps zu informieren, sagt Rosery. So würde man die Denkmäler zu „öffentlichen Lernorten“ machen, beispielsweise auch mit QR-Codes an den Stationen der Führung oder im Stadtteil Gerschede, in dem es zahlreiche koloniale Straßennamen gibt.
Bevor der Rundgang am Essener Dom abschließt, geht es noch an einen wenig bekannten Erinnerungsort, der nicht direkt mit dem Kolonialismus in Verbindung steht. Versteckt unter dem Eingang zur Rathausgalerie befindet sich die „Stadtwunde“ – eine Gedenkstätte des KZ-Außenlagers „Schwarze Poth“, in dem einst 150 Zwangsarbeiter inhaftiert waren. Ein langes Gitter versperrt den Weg zur Gedenkstätte, dazu Gestank und Lärm vom Parkhaus der Galerie. Anzeichen seitens der Stadt, die Stadtwunde umzugestalten, gibt es bisher nicht. Der Platz über der Stadtwunde ist heute nach dem frühen NSDAP-Mitglied Ferdinand Porsche benannt, der in den Volkswagen-Werken etwa 5.000 Zwangsarbeiter beschäftigte. „Gerade hier zeigt sich, dass man Erinnerungskultur auch wollen muss“, so Rosery.
KOLONIALWAREN - Aktiv im Thema
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unesco.de/kultur-und-natur/kulturelle-vielfalt | Die deutsche Unesco-Komission informiert über ihre Arbeit zu kultureller Vielfalt und kulturellem Austausch.
Wolfgang-Welsch-Transkulturalität | Der Suchbegriff führt zu einem kompakten PDF, das sich philosophisch mit diversen Kulturbegriffen auseinandersetzt.
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