Die Nachrichten überschlugen sich, Zeitungen brachten Sondernummern, Queen Victoria gratulierte der Royal Navy. Grund: Die Strafexpedition — heute würde man wohl „Friedensmission“ sagen — von 1897 gegen das als „grausam“ apostrophierte Königreich Benin. Über Tage verwüsteten und plünderten britische Elitesoldaten die Stadt und machten sie dem Erdboden gleich. Captain Herbert Walker, Teilnehmer der Strafexpedition, notierte in sein Tagebuch: „Viele Bronzefiguren und geschnitzte Elfenbeinzähne wurden gefunden. Zwei Stoßzähne und zwei Leopardenfiguren aus Elfenbein wurden für die Königin reserviert.“ Die Benin-Bronzen triefen nur so vor Blut, wie auch all die anderen in kolonialen Kriegen und Eroberungen erbeuteten Objekte in „unseren“ Völkerkunde-Museen.
Zwischen Museum und Eventschuppen
Mit dem Ende des im heutigen Nigeria gelegenen Königreichs Benin begann eine Odyssee von 3500 bis 4000 geraubten Objekten, die als Benin-Bronzen bekannt sind und bis heute weitgehend im Besitz von nordamerikanischen aber vor allem europäischen Museen sind. Darunter auch das Humboldt-Forum im neu errichteten „Berliner Stadtschloss“ Kaiser Wilhelms II.— einer zu feinstem Geschichtsrevisionismus geronnenen Stuckarbeit im Herzen Berlins, die in ihrem Streben nach kolossaler Imposanz an ein vorstädtisches XXL-Möbelhaus erinnert. Mit drei Seiten neobarockem Fassadenschwindel und kryptofaschistischer Schießscharten-Optik an der Ostseite, kann sich das Nutzungskonzept des Humboldt Forums bis heute nicht zwischen Museum, Multimediazirkus, Eventschuppen und Touristenattraktion entscheiden. In diese Gemengelage platzte im September 2021 die von der Bundesregierung beschlossene Restitution der Benin-Bronzen, also zentraler Ausstellungsstücke.
Sogleich stellte ein neokolonialer — man könnte auch sagen rassistisch-paternalistischer — Diskurs die Frage, was denn mit den kostbaren Werken aus aller Welt in all den Jahren geschehen wäre, wenn sie nicht unrechtmäßig in Europas Museen gelandet wären? Gäbe es sie noch? Was wäre denn mit der Nofretete passiert, wenn sie nicht in in Deutschland sicher gewesen wäre, als 2011 während des arabischen Frühlings Plünderer durch das Ägyptische Museum in Kairo zogen? Wäre eine Kostbarkeit wie das Ischtar-Tor von Babylon im heutigen Irak wirklich besser aufgehoben als in Berlin? (Wobei über den Grund für die heutige (Un-)Sicherheitslage im Irak geschwiegen wird: Die Öl-Kriege des Westens.) Und, last not least: In welchem Zustand wären die Benin-Bronzen, wenn sie die letzten 120 Jahre in Afrika verblieben wären? Gegenüber dem Sender 3Sat konnte der in diplomatischer Zurückhaltung geübte nigerianische Botschafter Yusuf Tuggar kaum an sich halten. Solche Fragen zeugten von europäischer, weißer Arroganz und fortgesetztem Kolonialismus. In Bezug auf die Benin-Bronzen stellte Tuggar fest: „Bevor sie aus Afrika gestohlen wurden, existierten sie schon seit Jahrhunderten. Und ich würde sagen, wir haben uns nicht schlecht geschlagen.“
Afrika, das sich selbst betrachtet
Das 2018 im senegalesischen Dakar eröffnete „Musée des Civilisations noires“ hat übrigens viel Platz für Restitutionen. Wie Direktor Hamady Bocoum gegenüber dem Sender erklärte, gehe es den Ausstellungsmachern in dem Museum um Afrika, das sich selbst betrachtet und nicht von Europäern angestarrt wird. Derweil entpuppt sich das Humboldt Forum als weithin vermintes Gelände. Der Historiker Götz Aly hat nun auch noch nachgewiesen, das ein weiteres, aus einer anderen Weltgegend stammendes zentrales Ausstellungsstück, das Luft-Boot aus der Südsee, nicht rechtmäßig erworben wurde.
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