Als Johannes Weigand vor ungefähr anderthalb Jahren begann, Ideen für ein wie-auch-immer-geartetes Griechenland-Festival zu sammeln, konnte der Intendant der Oper an den Wuppertaler Bühnen nicht ahnen, dass kurz vor Startschuss eben dieses spartenübergreifenden Veranstaltungsmarathons Griechenland Tagesthema sein würde. Die dramatische Verschuldung hat das Land an den Rand der Staatspleite manövriert, die Haushaltskrise setzt die Euroländer unter Zugzwang. Frei von Aspekten dieses Beinahe-Bankrotts gibt es im Tal vom 18. April bis 14. Mai quasi ein kulturelles Best Of des am Abgrund pendelnden Landes. Die Anfangsüberlegung zum Festival resultiert aus grundsätzlichen Überlegungen zum Spielplan, die Opernintendant Weigand und Schauspielintendant Christian von Treskow miteinander diskutierten. „Es gibt viele Zuwanderer in dieser Stadt. Wenn wir diese Menschen für unser Theater interessieren wollen, sollten wir uns zunächst für sie interessieren“, erinnert sich der Opernboss an Grundsätzliches. Also begann die Recherche, wie sich der Migrantenpool zusammensetzt, welche Länder und Kulturen in Wuppertal vertreten sind.
KLEIN HELLAS IM BERGISCHEN
Zu den ersten, die in 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ins oft nass-kalte Tal an der Wupper kamen, gehörten Griechen. Sie wurden damals „Gastarbeiter“ genannt und waren maßgeblich daran beteiligt, dass das deutsche Wirtschaftswunder für Furore sorgte. Inzwischen leben aus dem Mutterland der europäischen Kultur stammend etwa 6.000 Menschen hier, inklusive eigener Gemeinde und Schulen, bestens sozial und kulturell in der Stadt integriert und vernetzt. Und weil, wie Weigand salopp formuliert, „die griechische Antike die Großmutter aller Opern ist“ und es sagenhaft viele Mythen und Erzählungen gibt, die vom auf Reisen Sein, nach Hause kommen Wollen, aber nicht -Können oder Zurückkehren, aber als Fremder nicht länger akzeptiert Sein handelt, und das wiederum tagespolitische Themen sind, aus all diesen Gründen steht Griechenland an verschiedenen Spielstätten knapp einen Monat im Fokus der Betrachtungen. Aus einer Fülle von Aufführungen liegt dem Opernchef persönlich die konzertante Aufführung der Spoyros Samaras-Oper „La martire“ (Die Märtyrerin) am Herzen. „Zu seiner Zeit war er ebenso bekannt wie Puccini. Heute kennt man meist bloß noch die olympische Hymne.“ Die Rolle der Natalia übernimmt Sophia Kyanidou – sie lernte Weigand im vergangenen Jahr anlässlich der Uraufführung von Salvatore Sciarrinos „Das Tor zum Gesetz“ kennen –, und auch die anderen Rollen sind „mit den Stars der Wuppertaler Bühne besetzt“.
TRIBUT AN ELYTIS UND KAZANTZAKIS
Im literarischen Solo wird Julia Wolff Texte des Literaturnobelpreisträgers Odysseas Elytis präsentieren, das Lyzeum am Hesselnberg wird „Troades“ mutmaßlich nicht als opulentes Bühnenspektakel, dafür aber mit einem aus Lehrern und Eltern bestehenden Chor aufführen, welcher andere filmische Beitrag als „Alexis Sorbas“ von Michael Cacoyannis – übrigens verfasst von Nikos Kazantzakis – sollte das Dunkel des Kinos erhellen? Auch der berühmte Schriftsteller Nikos Kazantzakis soll in den Fokus der Betrachtung gerückt werden. Der Text zur „Griechischen Passion“, zurzeit im Spielplan, stammt von ihm, und „er wusste was es heißt, ein Flüchtling zu sein“. Ein weiterer wichtiger musikalischer Beitrag ist das Konzert der hymnisch im Feuilleton gefeierten „Göttin des griechischen Gesangs“ Savina Yannatou. Tatsächlich sind Stimme und Gestaltungskraft der Griechin außerordentlich. Sie gilt als eine der seltenen Interpretinnen, deren Können und Individualität in jedwedem Genre brillieren. Den meisten ist die Frau, die einst mit Peter Kowald befreundet war und der Wuppertal durch diverse Besuche bestens vertraut ist, als Jazz-Interpretin bekannt. Für ihr Konzert im Opernhaus hat sie ein Programm mit Liedern des großen Manos Hadjidakis zusammengestellt und eigens einige Lieder neu für ihre Gruppe arrangiert. Manos Hadjidakis ist den meisten Deutschen wohlmöglich durch einen Filmsong bekannt, der hier als „Ein Schiff wird kommen“ und dank Nana Mouskouri zum populären Schlager wurde (allerdings hatte Melina Mercouri den Song im Film gesungen.) Seine Bedeutung für Griechenland ist jedoch eine andere: Als klassisch ausgebildeter Komponist erhob er den Rembetiko, den sogenannten griechischen Blues, zur ernsten Kunstform der Moderne. Durch seine populären Vertonungen griechischer Lyriker wurde er zur wichtigen Stimme gegen die griechische Militärdiktatur der 60er Jahre. Mag sein, dass wie oft behauptet wird, Korruption in Griechenland allgegenwärtig ist und Bestechung als Phänomen des Alltags droht, das Sonnenland in den Ruin zu treiben. Wie aber geht es „unseren“ Griechen der ersten Einwanderergeneration? Fühlen sie sich noch als Griechen, nennen sie Wuppertal ihre Heimat? Ausführlich hat Kai Schubert für sein Theaterstück „Eleni“, das am 30. April im Kleinen Schauspielhaus uraufgeführt wird, recherchiert. Dieser Theaterabend tastet sich an Antworten heran, mittels Gesprächen und Erkundungen, soziotopischen Interventionen und genauem Zuhören. Denn die Erzählungen der Einwanderer sind hier ebenso relevant wie die Fantasien des Autor Kai Schubert und der Regisseurin Jenke Nordalm. Ob es sich heute noch lohnt, für eine schöne Griechin einen Krieg mit Troja anzufangen, werden die verschiedenen Programmpunkte des Festivals nicht erläutern. Dafür aber verschiedenste kulturelle Aspekte näher bringen.
Griechenland-Festival
18. April bis 14. Mai
Opernhaus, Kleines Schauspielhaus und
CityKirche Elberfeld
www.wuppertaler-buehnen.de
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