Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.582 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Betonklötze, von Kindern gesehen...
Foto: Francis Lauenau

„Die Heimerziehung jener Jahre war ein brutales System“

28. Februar 2013

Thomas Swiderek über Geschichte und Gegenwart der Kinderheime – Thema 03/13 Schutzbefohlen

engels: Herr Swiderek, Sie haben das Schicksal der Kinder in Heimen erforscht?
Thomas Swiderek: Im Auftrag des Landschaftsverbandes Rheinland haben wir eine Studie durchgeführt, die die Zeit von 1945 bis Anfang der 1970er Jahre betraf. Ziel war es, das Leben und die Erziehungspraxis in den damaligen Fürsorgeerziehungseinrichtungen zu erforschen.

Thomas Swiderek
Foto: privat
Thomas Schwiderek (53) ist Lehrbeauftragter im Fachbereich Sozialpädagogik der Bergischen Universität Wuppertal und Fachberater im Kompetenzzentrum Kinderschutz des Deutschen Kinderschutzbundes Landverband NRW e.V.

Wie war das Leben in den Heimen damals?
Die Heimerziehung jener Jahre hat sich als ein geschlossenes, oftmals brutales System gezeigt. Es herrschten rigide Erziehungsmethoden. Die Kinder und Jugendlichen waren den Erziehern ausgeliefert. Zwar gab es damals auch die Möglichkeit, sich über erfahrenes Unrecht beim Landschaftsverband zu beschweren. Dies wurde von den Kindern und Jugendlichen aber äußerst selten genutzt. Und wenn Schläge und Demütigungen angezeigt wurden, wurden selten die beteiligten Erzieher belangt.

Gab es einen Unterschied zwischen konfessionellen und staatlichen Einrichtungen?
Unsere Studie hat sich mit dieser Frage nicht explizit beschäftigt. Andere Untersuchungen zeigen aber, dass die Verhältnisse in kirchlichen Einrichtungen noch strenger waren.

Ab wann haben sich die Verhältnisse geändert?
Das lässt sich nicht mit einer Jahreszahl festmachen. Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre lösten die Heimkampagnen einen Wandlungsprozess aus und unterstützten die wenigen Reformbewegungen innerhalb der Heimerziehung. Die Aufmerksamkeit, die die Heimkinder durch die Proteste der Studenten erfuhren, bewirkte erste Änderungen und zwang die Erziehungsbehörden zum Handeln. Die Heime wurden verkleinert. Es wurden dezentrale Angebote geschaffen. Die Ausbildung der Erzieher verbesserte sich. Das Personal wurde besser bezahlt. Aber dieser Wandel dauerte bis in die 1980er Jahre an.

Und jetzt herrscht eitel Sonnenschein?
Körperliche Gewalt ist heute in Erziehungseinrichtungen verboten. Doch aktuelle Untersuchungen belegen, dass Schläge als Mittel zur Erziehung in Einzelfällen noch eingesetzt und auch – unter der Hand – akzeptiert werden, systematisch geschieht das aber nicht mehr. Meist ist es ein Ausdruck der Hilflosigkeit der Erzieherinnen und Erzieher in den Einrichtungen. Deshalb müssen die Rechte der Kinder weiter ausgebaut werden. Kindern und Jugendlichen sollten auch externe Beschwerdemöglichkeiten in der Jugendhilfe angeboten werden. Bislang sind für externe Beschwerden die Jugendämter und Landesjugendämter zuständig. Wünschenswert wäre eine unabhängige Ombudsstelle. Wir haben als Modellversuch eine solche Stelle für die Städte Essen und Köln eingerichtet.

Welche Beschwerden wurden Ihnen vorgetragen?
Die Kinder und Jugendlichen sind sehr differenziert und reflektiert mit ihrer Kritik umgegangen. In der Modelllaufzeit von zweieinhalb Jahren ist uns kein Missbrauchsfall begegnet. Es ging um elterliches Besuchsrecht, um Handy- und Internetnutzung, um die Frage, ob die Verweigerung der Auszahlung des Taschengeldes als Strafe eingesetzt werden kann. In der Konfliktlösung wurden wichtige konstruktive Diskussionen in den Einrichtungen angeregt.

Kinder leben in Heimen inzwischen sicherer als in Familien?
Durchaus. Wir wissen inzwischen, dass die Familie nicht immer der Hort des Glückes für alle Kinder ist. Nachdem die Heimerziehung in den 1980er und 1990er Jahren heftig kritisiert wurde und man die Einweisung in eine stationäre Einrichtung, soweit es ging, vermied, steigt die Zahl der Unterbringungen in den letzten Jahren wieder erkennbar an. Die Jugendämter sind durch Fälle, in denen Kinder in ihren Familien vernachlässigt wurden und zu Tode kamen, sensibilisiert. Für einige Kinder mag es ein Segen sein, aus ihren Familien herauszukommen. Stationäre Einrichtungen leisten heute in der Regel eine gute Arbeit.

Interview: Lutz Debus

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Volle Nasen, volle Wartezimmer
Allergien sind bei Kindern häufigste Ursache für gesundheitliche Probleme – THEMA 09/15 WELTENKINDER

Das Recht auf Spielen
Abenteuer- und Naturspielplätze fördern in Dänemark Kreativität und Umweltbewusstsein – Thema 09/15 Weltenkinder

„Das Immunsystem langweilt sich“
Sonja Lämmel vom Allergie- und Asthmabund über Allergien bei Kindern – Thema 09/15 Weltenkinder

Alles machbar
Wie die Stadtverwaltung und ihre Kitas allergischen Kindern helfen können – Thema 09/15 Weltenkinder

Die Würde des Kindes ist antastbar
Ein Schutz vor Misshandlung von Kindern ist noch immer lückenhaft – THEMA 03/13 SCHUTZBEFOHLEN

„Migranten brauchen Helfer mit Migrationshintergrund“
Martin Vedder über die besonderen Erziehungsprobleme von Migranten – Thema 03/13 Schutzbefohlen

Der selbst verschuldete Sündenbock
Die Katholische Kirche wollte das Kapitel sexuelle Gewalt abschließen – Thema 03/13 Schutzbefohlen

Unterricht einmal anders
Irmgard Stinzendörfer über Prävention an Schulen – Thema 03/13 Schutzbefohlen

Interview

Hier erscheint die Aufforderung!