Traurig ist es schon, dass Kinder vor Erwachsenen oder sogar vor anderen Kindern geschützt werden müssen. Täglich machen neue Meldungen zu sexuellen Übergriffen oder Gewalt in der Familie Schlagzeilen, an Schulen gehört Mobbing zur Tagesordnung. Irmgard Stinzendörfer vom erzieherischen Kinder- und Jugendschutz des Wuppertaler Jugendamts möchte Kinder und Jugendliche schützen. Sie betreut präventive Projekte. Über einen längeren Zeitraum besucht die Sozialpädagogin einmal in der Woche für mehrere Stunden Schulklassen und arbeitet projektbezogen. In der dritten Klasse heißt es beispielsweise „Nur Mut“. „Die Kinder sollen lernen, nein zu sagen“, erklärt Irmgard Stinzendörfer. „Wir wollen sie in ihrer Persönlichkeit stärken.“ Gemeinsam mit den Schülern erarbeitet sie Strategien zum Schutz vor Gewalt oder sexuellen Übergriffen. Die Kinder agieren im Rollenspiel, sprechen über das Erlebte, bekommen Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Irmgard Stinzendörfer vermittelt ihnen, dass das eigene Empfinden ein guter Gratmesser für Grenzüberschreitungen ist. Wichtig sei immer ihr Bauchgefühl: Fühle ich mich noch wohl? Geht der andere schon zu weit?
Endlich jemand, der Hilfe anbietet und Nöte thematisiert
Die Projekte sind je nach Altersklasse unterschiedlich konzipiert: Suchtprävention, Zivilcouragetrainings, Mobbing. „Mit Mobbing sehen sich im Alltag tatsächlich viele konfrontiert“, so Irmgard Stinzendörfer. „Mobbing beginnt, wenn eine Person über eine längere Zeit getriezt wird.“ Beleidigungen, Ausgrenzungen und systematische Fortsetzungen gehören zur Tagesordnung. Der Mitläufer ist als systemstützend allerdings genauso beteiligt wie Opfer und Täter. „Diejenigen sind meist heilfroh, dass sie selbst keine Opfer sind.“ Kritisch hinterfragt wird im Projekt auch die eigene Rolle. Es geht um Identität, Gruppeneinfluss und Diskriminierung. Aber auch um Fragen wie „Wie kann ich helfen?“ oder „Wie kann ich mich schützen?“. Eine ganz neue Dimension ist das Cyber-Mobbing. „Das Internet ist erbarmungslos“, warnt Irmgard Stinzendörfer. Ein bloßstellendes Foto oder ein dummer Spruch werden hundertfach angeklickt. In der Anonymität des World Wide Web werden die Täter mutiger und die Opfer hilfloser. Als Täter kann ich wegen der fehlenden Reaktion meines Gegenübers keine Empathie entwickeln, Angriffe finden praktisch immer und überall statt. Die Projekte kommen bei den Schülern gut an. Gibt es doch da endlich jemanden, der Hilfe anbietet und Nöte thematisiert. „Die Schüler sind begeistert“, sagt Irmgard Stinzendörfer. „Sie arbeiten gerne mit.“ Im Gegensatz zum sonst üblichen Unterricht nehmen sie die Inhalte spielerisch auf. Anders als bei stundenlangen Vorträgen verknüpfen sie ihr Wissen mit Erlebtem, so dass die vermittelten Inhalte länger haften bleiben. Auch dürfen Schülerinnen und Schüler Kritik äußern, wenn etwas „doof läuft“. Zwar ist der Erfolg im eigentlichen Sinne nicht messbar, aber wenn Kinder frühzeitig und regelmäßig informiert und gestärkt werden, entwickeln sie mehr Handlungskompetenzen. Da ist sich Irmgard Stinzendörfer sicher.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Volle Nasen, volle Wartezimmer
Allergien sind bei Kindern häufigste Ursache für gesundheitliche Probleme – THEMA 09/15 WELTENKINDER
Alles machbar
Wie die Stadtverwaltung und ihre Kitas allergischen Kindern helfen können – Thema 09/15 Weltenkinder
Das Recht auf Spielen
Abenteuer- und Naturspielplätze fördern in Dänemark Kreativität und Umweltbewusstsein – Thema 09/15 Weltenkinder
„Das Immunsystem langweilt sich“
Sonja Lämmel vom Allergie- und Asthmabund über Allergien bei Kindern – Thema 09/15 Weltenkinder
Die Würde des Kindes ist antastbar
Ein Schutz vor Misshandlung von Kindern ist noch immer lückenhaft – THEMA 03/13 SCHUTZBEFOHLEN
„Die Heimerziehung jener Jahre war ein brutales System“
Thomas Swiderek über Geschichte und Gegenwart der Kinderheime – Thema 03/13 Schutzbefohlen
„Migranten brauchen Helfer mit Migrationshintergrund“
Martin Vedder über die besonderen Erziehungsprobleme von Migranten – Thema 03/13 Schutzbefohlen
Der selbst verschuldete Sündenbock
Die Katholische Kirche wollte das Kapitel sexuelle Gewalt abschließen – Thema 03/13 Schutzbefohlen
Gegen welche Regel?
Intro – Flucht und Segen
Zum Schlafen und Essen verdammt
Teil 1: Leitartikel – Deutschlands restriktiver Umgang mit ausländischen Arbeitskräften schadet dem Land
„Es braucht Kümmerer-Strukturen auf kommunaler Ebene“
Teil 1: Interview – Soziologe Michael Sauer über Migration und Arbeitsmarktpolitik
Ankommen auch im Beruf
Teil 1: Lokale Initiativen – Bildungsangebote für Geflüchtete und Zugewanderte bei der GESA
Rassismus kostet Wohlstand
Teil 2: Leitartikel – Die Bundesrepublik braucht mehr statt weniger Zuwanderung
„Ein Überbietungswettbewerb zwischen den EU-Staaten“
Teil 2: Interview – Migrationsforscherin Leonie Jantzer über Migration, Flucht und die EU-Asylreform
Ein neues Leben aufbauen
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Verein Mosaik Köln Mülheim e.V. arbeitet mit und für Geflüchtete
Schulenbremse
Teil 3: Leitartikel – Was die Krise des Bildungssystems mit Migration zu tun hat
„Die Kategorie Migrationshintergrund hat Macht“
Teil 3: Interview – Migrationsforscher Simon Moses Schleimer über gesellschaftliche Integration in der Schule
Bildung für Benachteiligte
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe in Bochum
Das Recht jedes Menschen
Die Flüchtlings-NGO Aditus Foundation auf Malta – Europa-Vorbild Malta
German Obstacle
Hindernislauf zur deutschen Staatsbürgerschaft – Glosse
Weihnachtswarnung
Intro – Erinnerte Zukunft
Glücklich erinnert
Teil 1: Leitartikel – Wir brauchen Erinnerungen, um gut zu leben und gut zusammenzuleben
„Erinnerung ist anfällig für Verzerrungen“
Teil 1: Interview – Psychologe Lars Schwabe über unseren Blick auf Vergangenheit und Gegenwart
Zivilcourage altert nicht
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Verein zur Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal
Aus Alt mach Neu
Teil 2: Leitartikel – (Pop-)Kultur als Spiel mit Vergangenheit und Gegenwart