In einem Hotel kurz vor der Schließung findet der junge Nachtportier einen Toten mit einem Schriftzug in der Brust. Im Interview spricht Schauspieler Thomas Ritzinger über seinen ersten Roman „Die letzte Nachtschicht“ und die Gemeinsamkeiten zwischen Schreiben und Theater.
engels: Herr Ritzinger, Sie sind Schauspieler und haben mit „Die letzte Nachtschicht“ jetzt einen Kriminalroman geschrieben. Wie kam es denn dazu, dass Sie als Prosa-Debütant gleich bei Rowohlt publizieren konnten?
Es begann damit, dass Rowohlt im Herbst 2022 einen Schreibwettbewerb ausgerichtet hat. Es wurden drei Szenarien als Impuls vorgegeben, von denen man sich eines aussuchen sollte. Dann galt es, ein Exposé und 50 Seiten Probemanuskript einzureichen. Ich habe innerhalb des von mir gewählten Szenarios gewonnen und durfte somit den Roman zu Ende schreiben und dieser wurde nun als E-Book (Rowohlt, die Red.) und Hörbuch (Argon, die Red.) publiziert.
Was sollte man, ohne zu viel zu verraten, über die Handlung Ihres Krimis wissen?
Protagonist Leon findet während seiner letzen Nachtschicht in einem Kölner Hotel die Leiche eines flüchtigen Bekannten aus der Modelszene, eine Wunde am Hals und das Wort „Fake“ in die Brust geritzt. Der Mörder oder die Mörderin scheint noch in der Nähe zu sein, entwischt ihm allerdings.
Als die Polizei die Ermittlungen aufnimmt, taucht „Der Österreicher“ auf, ein seltsamer Detektiv, der sein wahres Ich hinter seinem ‚Künstlernamen‘ und einer gehörigen Portion Klischees verbirgt.
Leon wird von ihm in die Ermittlungen miteinbezogen. Die beiden sind ein ungleiches Paar, das sich aber gut ergänzt. Wo der Student körperlich, leicht spirituell, offen und rechtschaffen ist, ist der Österreicher kopflastig, atheistisch, sarkastisch und nimmt es mit den Regeln nicht so genau.
Auch scheint es unterschwellig zwischen dem Detektiv und seinem neuen Side-Kick zu knistern. Nicht nur der Österreicher hat etwas zu verbergen, auch Leon trägt ein privates Geheimnis mit sich herum. Und es stellt sich heraus, dass sich auch die Verdächtigen auf eine Art präsentieren, die von ihren Leichen im Keller ablenken soll. Besonders wichtig war mir, eine gewisse Atmosphäre zu erzeugen: mysteriöse Spannung gepaart mit leicht theatralen Charakteren und bissigen Sprüchen. Dabei habe ich natürlich tief in die Humorkiste des typsich österreichischen Sarkasmus gegriffen.
Wie haben Sie das Schreiben mit Ihrer Arbeit am Theater vereinbart? Theater ist ja eine sehr kommunikative Kunst – war der Kontrast zum bekannten „stillen Kämmerlein“ da eher erfrischend oder irritierend?
Auch wenn das Ergebnis am Theater sehr öffentlich ist und man dieses gerade als Schauspieler:in öffentlich präsentiert, so arbeitet man trotzdem auch da viel im stillen Kämmerlein. Der Text muss gelernt werden, man macht sich viele Gedanken über die Darstellung der Rolle und die Proben finden hinter verschlossenen Türen statt. Die theoretische Arbeit, die man beim Schauspiel nicht sieht, deckt sich in vielen Punkten mit den Überlegungen, die man fürs Schreiben braucht. Jedenfalls bei mir. Das Hineinfühlen in die Charaktere, das Ausarbeiten von Dialogen und auch der Überblick über den Handlungsbogen, den man in beiden Fällen für die jeweilige Form der Darstellung braucht.
Ich sagte eben „Prosa-Debütant“, weil es nicht Ihr erstes Werk als Autor ist. Das Stück „Kunst kommt von Kürzen“ von Claudia Sowa, Bea Lange und Ihnen habe ich 2012 im Westdeutschen Tourneetheater Remscheid gern gesehen: Aus dem ewigen und im Grunde ernsten Konflikt zwischen Anspruch und Kommerz machten Sie sich clever einen Spaß. Wie vergleichbar war nun das Schreiben des Krimis?
Mir hat die Vorerfahrung des Stückeschreibens sehr geholfen, da es mir gerade bei den Dialogen einiges an Übung einbrachte. In Theaterstücken sind Formen der direkten Rede häufig das dominante Mittel, um die Geschichte zu erzählen. Auch durch meine Regiearbeit diverser Projekte konnte ich lernen, den Überblick über ein gesamtes Werk zu behalten – gerade beim Krimi sehr wichtig!
Und das Streichen von Texten fällt mir leicht. Theaterstücke werden selten so aufgeführt, wie sie geschrieben sind, sondern der Probenarbeit geht meist eine Strichfassung voraus. Dadurch habe ich zum Beispiel kein Problem damit, eine Szene aus meinem Manuskript rauszuschmeißen, wenn ich das Gefühl habe, dass sie langweilig ist oder nichts von Relevanz erzählt. Die Nostalgie der vielen Arbeit, die ich reingesteckt habe, kann ich mit dem Rotstift zum Glück sehr gut beiseite wischen. Es bringt ja niemandem etwas, wenn ich mich an einer Szene festbeiße, die ich nicht streichen will, nur weil ich so viele Stunden daran gearbeitet habe. Wenn sie trotzdem immer noch öde ist, dann hilft nur eins: weg damit!
Große Frage: Lehrt Schauspielen, dramaturgisch zu denken? Man könnte auf die Idee kommen, das Darstellen von Figuren mache auch vertraut darin, wie Stücke funktionieren. Oder sind das zwei ganz getrennte Dinge?
Eindeutiges Ja. Im Schauspiel muss die Dramaturgie einer Figur im Blick behalten werden, aber natürlich denkt man bei den Proben auch an das ganze Stück, man stellt ja eine Rolle innerhalb eines Gesamtkontexts dar. Das hilft beim Schreiben sehr. Und das perspektivische Denken, das man als Autor:in braucht, um eine Situation beispielsweise aus der Sicht eines Charakters oder einer bestimmten Erzählstimme zu beschreiben, wird ebenfalls durch die Schauspielerfahrung geschult.
Die Schauspielerin Marina Welsch, die ein Boulevardstück geschrieben hat, sagte mir einmal, ein wenig habe man durchs Spielen zwar eine Vorstellung von Länge und Gliederung. „Aber man muss sich da schon ein bisschen einfummeln. Es war dann doch ,learning by doing‘.“ Stimmen Sie zu?
Auf jeden Fall. Schreiben ist wie ein Instrument und folgt drei Grundregeln: üben, üben, üben. Ich habe vor meinem Krimidebüt viel Quatsch im besagten stillen Kämmerlein geschrieben. Eine Menge Unsinn, der nie verlegt werden wird und das ist auch besser so. Auch habe ich zahlreiche Schreibkurse belegt, ein Autorencoaching, Drehbuchschreiben, Serienschreiben, Romanschreiben an der Uni etc. Auch als Testleser und Meckerer für zahlreiche Fantasyromane konnte ich den objektiven Blick auf lange, umfangreiche Werke schulen. Und selbstverständlich muss man die Regeln des Genres lernen, für das man schreibt und sich da ordentlich reinfuchsen. Ein Krimi funktioniert anders als ein Liebesroman, ein literarischer Krimi anders als ein Unterhaltungskrimi. Ich spiele zwar gerne mit den Grenzen der Genres, so hat „Die letzte Nachtschicht“ auch Mysteryelemente und eine queere Note durch die Protagonisten. Aber es ist und bleibt trotzdem ein Krimi.
Wie sind Sie beim Schreiben des Romans vorgegangen? Ich schätze, man erstellt erst ein Handlungsgerüst – gerade bei Krimis vielleicht besonders planvoll. War die Ausarbeitung dann mühsam?
Wie bei allen Tätigkeiten kann auch das Schreiben mühsam sein. Allerdings versuche ich, mit guter Laune an die Sache ranzugehen – mal mehr, mal weniger erfolgreich. Im Großen und Ganzen war es nicht mühsam. Es war viel, viel, viel Arbeit, ja. Aber die Mühe hat mir Spaß gemacht.
Ich habe sehr viel geplant und konzeptioniert, bevor ich den ersten Satz des Manuskripts auf ‚Papier‘ gebracht habe. Vor allem den Mord habe ich als erstes sehr genau mit allen Hinweisen und Querverbindungen ausgearbeitet, um später nicht in Teufels Küche zu kommen. Dazu kamen dann die Biografien der wichtigsten Figuren. Dann habe ich den kompletten Roman von vorne bis hinten stichpunktartig mit Szenenunterteilung strukturiert, um eine Art Fahrplan zu haben. Beim Schreiben selbst hat sich dieser Plan natürlich verändert und ich musste einiges anpassen, hatte Ideen, die mir besser gefielen, habe Dinge rausgeworfen, die sich als Quatsch oder überflüssig herausgestellt haben etc. etc. Das Manuskript war immer in Bewegung, dennoch hat es den Rahmen, den ich vorher geplant hatte, nicht verlassen.
Was sollte man zum Roman selbst noch sagen? Welche Rolle spielt zum Beispiel das Thema Homosexualität? Und was für ein Typ ist Ihr Ermittler, der „der Österreicher“ genannt wird? Hat er etwa Züge von Ihnen? Immerhin stammen Sie aus Salzburg.
Bei „Die letzte Nachtschicht“ handelt es sich um einen Unterhaltungskrimi. Ein Krimi, der Spaß machen soll, der spannend sein soll, den man gerne liest, bei dem man im einem Moment über die zynischen Bemerkungen des Detektivs schmunzeln muss und im nächsten Moment um die Charaktere bangt. Homosexualität wird häufig als Problemfall dargestellt. Ich möchte jedoch Geschichten erzählen, in denen queere Figuren – in meinem Fall sind es meist homosexuelle Männer – die Hauptcharaktere von Geschichten sind, die unterhaltend sein dürfen. Wir homosexuelle Männer sind mehr als nur ‚unser‘ Problemthema – wobei das Thema ja eigentlich gar nicht unser Problem ist, sondern die Gesellschaft eines daraus macht. Wir können auch der risikobereite Sidekick (übers.: Handlanger, die Red.), der smarte Anwalt, der zynische Detektiv, der intelligente Ermittler, der tapfere Fantasyheld oder der hinterlistige Bösewicht. Vor allem in meiner Jugend fehlten mir derartige Identifikationsfiguren und homosexuelle Männer waren entweder das ‚Problem‘ mit ihrem ‚Problemthema‘ und ihrem ‚Problemleben‘ oder Witzfiguren, die man auslachen soll und nicht ernst nehmen kann. Ich möchte von Charakteren erzählen, die homosexuell sind und unterhaltend, die ihren Platz im Mainstream haben und nicht nur in ‚ihre‘ Nische gehören. Und zwar in Reihe eins und nicht als die Nebenfigur der Nebenhandlung oder als der dritte Baum von links. „Die letzte Nachtschicht“ ist für alle da, die Krimis, Thriller, Action oder Mystery mögen. Nur dass eben diesmal die Protagonisten zwei homosexuelle Männer sind und nicht die obligatorische, heterosexuelle Mann-Frau-Kombination. Auch sie können Träger von unterhaltsamen Geschichten sein, ja, sogar von Krimis, und – oh Schreck! – sogar im deutschsprachigen Markt. Was den Österreicher angeht, teile ich, wie man vielleicht schon bemerkt hat, ein wenig den sarkastischen Humor, die kleinen Frechheiten mit Augenzwinkern. Darüber hinaus habe ich mich natürlich der Klischeekiste bedient, die mir als in Deutschland lebender Österreicher gerne Mal unterkommt. Davon gibt es drei Klischees, denen ich oft begegne. Ich nenne sie gerne das „Lederhosen-Klischee“, das „Ihr-seid-ja-so-langsam-ach-nee-das-sind-die-Schweizer-Klischee“ und das „Wiener-Schmäh-Klischee“. Letzteres bedient der Österreicher: zynischer, sarkastischer Humor, leicht arrogant, dabei aber trotzdem irgendwie charmant und mit einer „Das-passt-schon-Mentalität“. Wie alle Charaktere im Roman hat der Österreicher auch Züge von mir. Ich würde das aber nicht überinterpretieren, denn durch die andere Kontextualisierung von Ideen, die ich aus eigener Erfahrung schöpfe, entstehen wieder ganz andere Persönlichkeiten und Situationen, die am Ende des Tages nur noch oberflächlich betrachtet mit mir direkt zu tun haben. Aber ich denke, das ist normal; in jeder Kunstform oder in allen kreativen Bereichen. Die persönliche Perspektive, die eigene Erfahrung, der subjektive Geschmack und das erworbene Wissen spielen immer eine Rolle.
Thomas Ritzinger: Die letzte Nachtschicht | Rowohlt E-Book (auch bei Argon als Hörbuch) | 304 S. | 4,99 Euro
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
ABC-Architektur
„Buchstabenhausen“ von Jonas Tjäder und Maja Knochenhauer – Vorlesung 11/24
Übergänge leicht gemacht
„Tschüss und Kuss“ von Barbara Weber-Eisenmann – Vorlesung 11/24
Auch Frauen können Helden sein
„Die Frauen jenseits des Flusses“ von Kristin Hannah – Literatur 11/24
Begegnung auf einer Schifffahrt
Julia Wolff liest im Skulpturenpark
Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24
Zurück zum Ursprung
„Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen“ von Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger – Vorlesung 10/24
Nachricht aus der Zukunft
„Deadline für den Journalismus?“ von Frank Überall – Literatur 10/24
Eine Puppe auf Weltreise
„Post von Püppi – Eine Begegnung mit Franz Kafka“ von Bernadette Watts – Vorlesung 10/24
Risse in der Lüneburger Heide
„Von Norden rollt ein Donner“ von Markus Thielemann – Literatur 10/24
Förderung von Sprechfreude
„Das kleine Häwas“ von Saskia Niechzial, Patricia Pomnitz und Marielle Rusche – Vorlesung 10/24
Frauen gegen Frauen
Maria Pourchets Roman „Alle außer dir“ – Textwelten 10/24
Wie geht Geld?
„Alles Money, oder was? – Von Aktien, Bitcoins und Zinsen“ von Christine Bortenlänger und Franz-Josef Leven – Vorlesung 09/24
„Es geht auch darum, wer der Stärkere ist“
Regisseur Peter Wallgram über „Monte Rosa“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 11/24
Schäferwagen und Hexenhaus
„Hänsel und Gretel“ am Opernhaus Wuppertal – Auftritt 11/24
Ohne Firlefanz
Premiere von „Salome“ im Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 10/24
„Im Stück steckt ganz viel Politik drin“
Regisseurin Barbara Büchmann über „Der einzige Mann am Himmel bin ich“ in Wuppertal – Premiere 10/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
„Macht und Machtspiele“
Intendant Thomas Braus über die neue Spielzeit am Wuppertaler Schauspiel – Premiere 09/24
Zahlreiche Identitäten
6. Hundertpro Festival in Mülheim a.d. Ruhr – Prolog 08/24
„Eine andere Art, Theater zu denken“
Dramaturg Sven Schlötcke über „Geheimnis 1“ am Mülheimer Theater an der Ruhr – Premiere 08/24
Weltstars in Wuppertal
Größen der Rock- und Pop-Szene gastieren im LCB – Porträt 07/24
Unterhaltsame Kurzweil
„Die lustigen Weiber von Windsor“ am Wuppertaler Opernhaus – Auftritt 07/24
Bewegte Geschichte
Soziokulturelles Zentrum Die Börse in Wuppertal – Porträt 06/24
„Wir sind eher im sozialkritischen Drama zuhause“
Regisseur Peter Wallgram über „Woyzeck“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 06/24
Jack the Ripper im Opernhaus
Ausblick auf die Spielzeit der Wuppertaler Bühnen – Bühne 05/24