Donnerstag, 19.1. - Zurück zu den Wurzeln. Dieser Gedanke muss eine Rolle gespielt haben, als sich Filmlegende Wim Wenders entschloss, auf der Mini-Promo-Tour für seinen neuen Film „Die schönen Tage von Aranjuez“ (Kinostart 26.1.) neben München, Hamburg und seiner Heimatstadt Düsseldorf auch das Wuppertaler Rex-Filmtheater zu besuchen. Während die Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Peter Handke einen Rückblick und eine Reflexion auf das Leben darstellt, ist Wuppertal schließlich für Wenders eine wichtige Lebensmarke: 1974 entstanden hier einige der schönsten und markantesten Szenen von „Alice in den Städten“, dem Film, der Wenders den endgültigen Durchbruch als Regisseur sicherte. Und natürlich setzte er 2011 mit „Pina“ dem Tanztheater Wuppertal und seiner Choreographin ein filmisches Denkmal und sicherte sich damit gleichzeitig die Oscar-Nominierung für den besten Dokumentarfilm.
Wenders Stippvisite in der Stadt stellt eine kleine Ehre für das Rex-Kino dar. „Es ist aber auch eine Ehre für mich, hier zu sein“, sagt Wenders beim Interview. Viele Freunde begrüßt der Regisseur im Saal, bevor er den Kino-Besuchern einen schönen Sommertag auf der Leinwand ankündigt und gleichzeitig vorwarnt: „Dieser Film ist eine Entschleunigung.“ Dann merkt er an: „Wir zeigen heute die deutsche Synchronfassung.“ Das französische Original, so der Regisseur, sei womöglich doch ein wenig zu anstrengend. Zumal das Publikum 3-D-Brillen aufhabe, was das Entschlüsseln der Untertitel erschwere. „Es wird nämlich ein wenig geredet in dem Film“, lächelt Wenders.
Das ist eine charmante Untertreibung. Der Film (eine Frau, ein Mann) besteht in seinen 97 Minuten fast ausschließlich aus Dialog. Respektive Monolog, denn zu hören ist vor allem die Stimme von Hauptdarstellerin (und Handkes Ehefrau) Sophie Semin (alias „die Frau“), die in einer kammerspielartigen Gesprächssituation mit „dem Mann“ zurückblickt: Auf das Leben, Männer und Frauen, ihre sexuelle Vergangenheit. Es ist ein Film zum Zuhören. Eine Hommage an die tiefsinnige aber zuweilen auch recht abstrakte Sprachmusik von Wenders langjährigem Freund Handke. Ein Blick zurück, der die ganze Substanz eines Lebensrückblicks und die Dissonanz der Geschlechter in die Leichtigkeit eines Sommertages packen will. Bedeutungsschwere liegt im Raum: „Die schönen Tage von Aranjuez“ stehen als Zitat aus Schillers Don Karlos für das Ende einer unbeschwerten Zeit. Zu Beginn des Films wirft der Mann der Frau einen Apfel zu. Eine Neuverhandlung des biblischen Sündenfalls?
Auf jeden Fall ist der Film kein einfach zu verdauendes Kinoerlebnis. Wer Wenders Werke kennt, weiß allerdings, dass den Altmeister weder überdeutliche Referenzen noch Bekenntnisse zur Langsamkeit jemals daran gehindert haben, wunderbar vielschichtige Filme zu drehen. Und so sind „Die schönen Tage von Aranjuez“ als Alterswerk nicht nur ein Rückblick sondern auch ein Spiegelbild der Kontroversen, die viele von Wenders Filmen ausgelöst haben: Genial-zeitlose Poesie oder in die Länge gezogener Kitsch? Einzelne Gähner im Publikum sind ebenso wenig zu überhören, wie die kritischen Stimmen, die einige der Besucher im Anschluss an den Film äußern.
Andererseits bekräftigen auch die Kritiker im Saal die Schönheit der Bilder, die den Film einrahmen: Die menschenleere Champs-Élysées, gedreht im Morgengrauen eines Junitags, den Fensterblick eines Dichters (alias Wenders/Handkes Alter Ego) auf die Terrasse mit den beiden Protagonisten, die Cameo-Auftritte von Nick Cave am Flügel und Peter Handke als Gärtner des herrlichen Landhauses. Auch die unterschiedlichen Tiefenebenen, die der Film auf der Leinwand entstehen lässt, hinterlassen einen bleibenden Eindruck: Hier der Dichter, dort die Terrasse mit der eigentlichen Handlung, dahinter (bereits in unbestimmter Entfernung) das einsame gelbe Trikot eines Tour-de-France-Radlers. Und am Horizont ganz blass die Skyline von Paris.
„3-D ist dafür ein wunderbares Medium, denn es entfaltet seine eigene zarte Poesie“, sagt Wenders im Interview. „Auch wenn es leider selten auf diese Art und Weise verwendet wird.“ Die Plastizität, die durch die Dreidimensionalität erzeugt werde, so Wenders, fördere ein anderes, ein intensiveres Zuhören. Ob die Sprache im Film per 3-D-Effekt tatsächlich mehr Menschen erreicht? Glaubt man den Kinobesuchern, dann ist diese These durchaus diskussionswürdig. Doch die meisten stimmen Folgendem zu: Wenn sich die Dialoge in Wenders neustem Film mit ihrer Umgebung verbinden, dann entwickelt der Film tatsächlich eine hohe Präsenz. Vielleicht in etwa so, wie der Genuss eines guten, wenn auch sehr trockenen, alten Rotweins plötzlich sein Aroma entfaltet. Und wenn die altertümliche Jukebox im Film Musik aus Wenders Jugendtagen spielt, zaubert der Film dazu sogar ein kleines Stück Zeitlosigkeit in den Kinosaal.
In diesen Momenten kann man auch erahnen, warum Wenders den Film persönlich in Wuppertal vorstellen wollte. Nicht nur, dass er hier mit „Pina“ erstmalig die Kompatibilität von 3-D-Format und Arthouse-Kino unter Beweis stellte. Wer weiter zurückschaut, erinnert sich: Vor über 40 Jahren gab es in „Alice in den Städten“ ebenfalls eine Schlüsselszene mit einer Jukebox. In einem Eiscafé in Vohwinkel.
Da verwundert es dann auch nicht, dass Wenders im persönlichen Gespräch gerne bereit ist, ein wenig von seiner Verbundenheit mit der Stadt Wuppertal zu erzählen: „Der frühere Wohlstand und die späteren Krisen, das beschäftigt mich“, sagt er. Außerdem, sagt Wenders, böten sich durch diese kontrastreiche Geschichte zahlreiche gute Drehorte, bei denen als besonders markantes Extra im Hintergrund die Schwebebahn durch das Bild rauschen könne. Den Drehort Wuppertal schätzt er aber auch aus ganz pragmatischen Gründen: „Die Wuppertaler sind wunderbar unaufgeregt. Man kann hier ganz komfortabel drehen, ohne dass das besonderes Aufsehen hervorruft. Wo hat man das sonst?“
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