Regisseurin Marie Kreutzer, 1977 in Graz geboren, studierte Buch und Dramaturgie an der Filmakademie Wien. Für ihren ersten Langfilm „Die Vaterlosen“ (2011) gewann sie u.a. den Großen Preis der österreichischen Diagonale sowie den Preis für das beste Spielfilmdebüt bei der Berlinale. Nach der Romanverfilmung „Gruber geht“ (2015) ist die nach dem bekannten Song der Band „Die Sterne“ betitelte Tragikomödie ihr dritter abendfüllender Film (Start: 9. Februar).
engels: Frau Kreutzer, hätten Sie statt der Komödie auch einen Doku-Essay über Elternschaft in Ihrem Umfeld machen wollen wie die Protagonistin Stella?
Marie Kreutzer: Nein, auf keinen Fall. Ich glaube, dann hätte ich keine Freunde mehr. (lacht) Das stand auch nie zur Debatte, weil mich der Dokumentarfilm nur als Zuschauerin interessiert.
Ist die Komödie die lohnendste Form für ein Generationenporträt?
Das mag sein, aber ich habe es mich gar nicht gefragt, weil der Film auch seitens des Produzenten von Anfang an als Komödie geplant war. Die erste Schnittversion war sogar noch komischer, schneller. Dann waren aber andere Dinge wichtiger. Die nachdenklichen Phasen hatten gar nicht so viel Raum im Drehbuch.
Durch das Lachen nimmt man den Themen ja auch die Spitzen.
Genau, im besten Fall lacht man dann ja über sich.
War es für Sie eine Gratwanderung, was noch irgendwie lebensnah komisch ist, was schon Karikatur?
Zumindest was die Hauptfiguren angeht, gab es wenige Momente, in denen ich Angst hatte, es würde eine Karikatur. Dazu waren die Schauspieler zu sehr in ihren Rollen und haben sie nicht als komische Figuren gespielt.
Im Gegensatz zu den Nebendarstellern etwa in den Kita-Szenen.
Wobei ich sagen muss: Die ist so nah an der Realität, die habe ich fast eins zu eins so erlebt, da musste ich mich dann wenig sorgen. Ich versuche generell während des Drehs nicht daran zu denken, was das Publikum davon halten wird. Im Schnitt hat sich öfter mal die Frage gestellt, wie weit man etwas überspitzen will.
Um auf den Titel zu kommen: Definieren Sie bitte den Ruin Ihrer Figuren! Diese Sechs haben doch alles…
Genau das ist es ja! Da sind einerseits die Situationen, in denen man sich mit einem kleinen Kind wiederfindet, die zwei, drei Jahre vorher nicht vorstellbar gewesen wären. Heulend auf dem Supermarktboden zu sitzen zum Beispiel. Ich habe mich da auch immer gefragt: Was ist mit dir passiert? Der andere Grund für den Titel: Ich finde, wenn man alles hat und zu sehr um Probleme kreist, die global gesehen keine sind, ist das auch eine Art von Ruin. Diese Verwöhntheit, in der viele meiner Generation in diesen Breiten leben.
Aber sind Luxusprobleme denn nicht auch Probleme?
Natürlich. Aber in der Relation sind sie lächerlich. Wenn man die verliert, wenn man sich so aufregt über…
… Rosinen oder doch lieber Goji-Beeren im Müsli?
Ja, so etwas hat mich einfach rausgeworfen. Das kann doch nicht sein, dass man mit so etwas eine Stunde Lebenszeit verbringt. Beziehungsdinge, auch mit dem eigenen Kind, das sind dagegen Luxusprobleme, die dennoch wichtig sind. Wenn es in Fragen des Lebensstils und der Details zu extrem wird, ist das zu kritisieren.
Und was hat sie denn – auch als Stellvertreter eines zeitgenössischen Milieus – nun bloß so ruiniert?
Immer alles gehabt zu haben, alles zu dürfen und auswählen zu können. In einem Artikel las ich kürzlich auch darüber. Langfristig kann das gesellschaftlich zu einem Problem werden, wenn unsere Kinder zu Egomanen erzogen werden. Das waren Punkte, die mich in der Drehbucharbeit beschäftigt haben. Wie weit darf das Kreisen um sich selbst gehen? Darin steckt die Gefahr des gesellschaftlichen Ruins.
Haben Sie mehr recherchiert oder aus eigenen Beobachtungen geschöpft?
Es war wenig zu finden. Das ist wohl der Film, für den ich am wenigsten recherchiert habe. Als ich daran schrieb, war meine Tochter gerade in dem Alter. Ich saß viel mit ihr auf dem Spielplatz und habe dort teilweise heimlich mitgeschrieben. Die Recherche war sozusagen im Alltag.
Wie ging es da ihrem Ensemble? Viele Situationen wirken wie aus Erfahrung improvisiert.
Drei haben Kinder, drei nicht. Fast alle hatten vorher das Gefühl, das habe mit ihnen nichts zu tun, und dann haben sie sich doch immer wieder erkannt. Wir waren in der Vorbereitungsphase ständig im Austausch, haben uns Artikel geschickt oder Bilder. Im Film selbst ist nicht wahnsinnig viel improvisiert. Aber ich lasse gerne, wenn mehrere Leute miteinander spielen, die Kamera länger laufen als der Text dauert. Das ergibt oft schöne Möglichkeiten.
Über den Film im Film kommt zweimal die Frage auf: Wer will das denn überhaupt sehen?
Das war natürlich eine Angst…
… die Sie selbst auch geplagt hat?
Ich dachte: Was der Film erzählt, kann auch sein Problem werden. Dass man sagt: Ja und? Es gibt schließlich wichtigere Dinge. Die zweite Sorge war, dass Eltern kleiner Kinder, die das interessieren könnte, gar nicht ins Kino gehen. Jetzt kann ich zum Glück darüber lachen, da der Film in Österreich sehr erfolgreich ist.
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