Als sie 13 Jahre alt war, sah Rita Witt die aufgebahrte Leiche ihrer Großmutter. Sie bekam ein neues Bild vom Tod, denn es war anders, als die Erwachsenen es ihr zuvor eingeredet hatten. „Schrecklich“ solle der Anblick sein, „nichts für das Kind“, erinnert sich die heute 52-Jährige. Ihre Neugier siegte dennoch und sie schaute nach der Verstorbenen. „Ich fand meine Oma damals wunderschön“, sagt Rita Witt, „beinahe schöner als das Bild der über Jahre gebrechlichen und kranken Frau.“
Auch bei ihrer Ausbildung zur Krankenschwester habe sie festgestellt, dass mit dem Sterben anders umgegangen werde, als sie es sich wünsche. „Der Tod ist eine normale Sache und gehört zum Leben dazu. Sterbende sollten unter Menschen sein. Bei der Geburt kommen schließlich auch alle vorbei“, sagt Rita Witt. Um Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten, hat sie sich 2008 dazu entschlossen, ehrenamtliche Sterbebegleiterin beim Wuppertaler Hospizdienst Lebenszeiten e.V. zu werden.
Mehr als 50 ehrenamtliche Helfer des Vereins sind jährlich bei rund 80 Begleitungen im Einsatz. Alle Helfer sind in 140 Unterrichtsstunden und mit einem Praktikum in einer sozialen Einrichtung darauf vorbereitet, betont Koordinatorin Monika Schneider. Die 44-Jährige arbeitet hauptamtlich für den Verein Lebenszeiten, der mit bald 20 Jahren der älteste seiner Art in Wuppertal ist.
Monika Schneider stattet den betroffenen Menschen den ersten Besuch seitens des Vereins ab und schätzt ein, welcher Begleiter der richtige sein könnte. „Die Chemie muss stimmen, denn wir arbeiten hauptsächlich im emotionalen Bereich“, sagt Monika Schneider. Die Helfer müssen auf Gefühle und Stimmungen wie Wut und Verzweiflung, aber auch Hoffnung eingehen können. Sie behalten immer im Blick, das Leben zu bejahen. Deshalb steht die aktuelle Debatte um die aktive Sterbehilfe nicht wirklich auf Monika Schneiders Agenda. „Nach 13 Jahren Erfahrung in der Palliativmedizin kann ich es an einer Hand abzählen, wann Menschen mich offen danach gefragt haben, ob sie Sterbehilfe bekommen könnten“, sagt sie. Das ist für sie die Bestätigung, dass ein Abschiednehmen und ein natürlicher Tod realisierbar sind und bleiben, wenn die Menschen sozial und emotional eingebunden sind und therapeutische Hilfe bekommen.
Auch Rita Witt findet, dass kein Mensch das Recht habe, sich oder anderen das Leben zu nehmen. „Es ist mir hingegen eine Ehre, ihn bis zum Schluss zu begleiten“, sagt sie. Sie war auch schon einmal dabei, als ein Klient seinen letzten Atemzug nahm. Dieser Moment sei zwar sehr intim gewesen, gehöre aber zu der vorher gemeinsam gegangenen Strecke dazu – ebenso wie die Trauer und die vergossenen Tränen mit den Angehörigen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Wie wollen wir sterben?
Die Debatte um die Sterbehilfe läuft – THEMA 12/14 LEBENSENDE
„Sterbehilfe ist kommerziell ausgerichtet“
Winfried Hardinghaus erklärt, warum Sterbebegleitung für ihn die bessere Alternative ist – Thema 12/14 Lebensende
Wenn Kinder sterben wollen
In Belgien dürfen Ärzte auch Kindern Sterbehilfe leisten – Thema 12/14 Lebensende
„Der Tod ist eine Grundfreiheit“
Dieter Birnbacher von der deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) über Sterbehilfe – Thema 12/14 Lebensende
Ran an die Regeln
Intro – Verspielt
Das Spiel mit der Metapher
Teil 1: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“
Teil 1: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens
Zusammen und gegeneinander
Teil 1: Lokale Initiativen – Spieletreffs in Wuppertal
Es sind bloß Spiele
Teil 2: Leitartikel – Videospiele können überwältigen. Wir sind ihnen aber nicht ausgeliefert.
„Viele Spiele haben noch einen sehr infantilen Touch“
Teil 2: Interview – Medienpädagoge Martin Geisler über Wandel in der Videospiel-Kultur
Jenseits der Frauenrolle
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Spieldesignerin und Label-Gründerin Mel Taylor aus Köln
Werben fürs Sterben
Teil 3: Leitartikel – Zum Deal zwischen Borussia Dortmund und Rheinmetall
„Genießen der Ungewissheit“
Teil 3: Interview – Sportpädagoge Christian Gaum über das emotionale Erleben von Sportevents
Immer in Bewegung
Teil 3: Lokale Initiativen – Sportangebote für Jugendliche im Open Space in Bochum
Spielglück ohne Glücksspiel
Gegen teure Belohnungen in Videospielen – Europa-Vorbild: Belgien
Spielend ins Verderben
Wie Personalmanagement das Leben neu definierte – Glosse
Wie gewohnt
Intro – Europa
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 1: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
„Der Verkauf des Kaffees nach Europa ist gestoppt“
Teil 1: Interview – Sebastian Brandis, Sprecher der Stiftung Menschen für Menschen, über das EU-Lieferkettengesetz
Verbunden über Grenzen
Teil 1: Lokale Initiativen – Wuppertal und seine europäischen Partnerstädte
Demokratischer Bettvorleger
Teil 2: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
„Die Bürger vor globalen Bedrohungen schützen“
Teil 2: Interview – Politikwissenschaftler Oliver Treib über Aufgaben und Zukunft der Europäischen Union
Zu Gast in Europas Hauptstadt
Teil 2: Lokale Initiativen – Die europäische Idee in Studium und Forschung an der Kölner Universität
Europäische Verheißung
Teil 3: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
„Mosaik der Perspektiven“
Teil 3: Interview – Miriam Bruns, Leiterin des Goethe-Instituts Budapest, über europäische Kultur