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Graffiti an der Mauer des evangelischen Friedhofs in Elberfeld
Foto: Florian Schmitz

„Sterbehilfe ist kommerziell ausgerichtet“

27. November 2014

Winfried Hardinghaus erklärt, warum Sterbebegleitung für ihn die bessere Alternative ist – Thema 12/14 Lebensende

engels: Sie sind als Palliativmediziner Fachmann für Schmerztherapie und Sterbebegleitung. Gleichzeitig sind Sie gegen aktive Sterbehilfe. Warum soll ein Mensch nicht sterben dürfen, wenn er Schmerzen hat?

Winfried Hardinghaus: Zum einen, weil wir ihm die Schmerzen nehmen und ihn würdevoll sterben lassen können. Es gibt Menschen, die mich am Anfang einer Behandlung fragen, ob ich aktive Sterbehilfe bei ihnen leisten kann. Am Ende der Behandlung stellen sie diese Frage nicht mehr. Das habe ich bisher kein einziges Mal erlebt. Dass ein Sterbewunsch so krass geäußert wird wie zuletzt bei einer jungen Amerikanerin, die ihr Leben wegen einer Tumorerkrankung beendet hat, ist kein Regelfall. Zum anderen sehe ich in einer Liberalisierung eine große gesellschaftliche Gefahr. Arme und Schwache könnten unter Druck gesetzt werden.

Wie erreichen Sie, dass ein Mensch ohne Schmerzen stirbt?

Prof. Winfried Hardinghaus
Foto: DHPV
Prof. Winfried Hardinghaus (63) ist Chefarzt für Innere Medizin und kommissarischer Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes (DHPV)

Das ist völlig unspektakulär. Wir haben moderne und bewährte Schmerzmittel, die man auf verschiedene Weisen einsetzen kann; als Spritzen, Tabletten, Pflaster oder Infusionen. Wenn das in Extremfällen nicht reicht, kann man den Patienten durch die sogenannte palliative Sedierung schmerzfrei ruhig stellen, indem man ihn für Stunden oder Tage schlafen legt. Zwischendurch kann er wach sein und kommunizieren. Es bleibt ein würdevoller Prozess.

In den Niederlanden und Belgien bekommen selbst Kinder Sterbehilfe. Sie kritisieren das sehr deutlich.
Auf jeden Fall. Das Argument der Befürworter von Sterbehilfe ist immer die Selbstbestimmung. Ich glaube aber nicht, dass Kinder selbst bestimmen können. Sie können noch gar nicht die geistige Reife haben – erst recht nicht, wenn sie auch noch krank sind. Selbstbestimmung heißt im Übrigen nicht, dass man Autonomie aufgibt, wenn man sich helfen lässt.

Regt Sie die aktuelle Diskussion, ob Sterbehilfe erlaubt werden soll, deshalb auf?
Wenn Sie damit Einzelschicksale meinen, ja. Die Menschen tun mir sehr leid. Die Kampagnen, die mit Hilfe dieser Schicksale manchmal betrieben werden, ärgern mich allerdings.

Haben Sie Sorge, dass eine Art Märtyrertum entstehen könnte?
Wenn ich Kollegen im Fernsehen erlebe, wie sie für die Sterbehilfe argumentieren, muss ich das befürchten. Das Schlimme ist, dass die meisten dieser Kollegen ihre Patienten nicht kennen. Eine gute palliative, hospizliche Betreuung ist aber eine sehr persönliche Sache. Es ist ein großer Vorwurf, den ich den Kollegen machen muss, dass diese enge Beziehung im Fall der Sterbehilfe nicht mehr bestehen könnte.

Sie befürchten, dass es neben der Babyklappe bald auch eine Altenklappe geben wird. Was meinen Sie damit?
Die Gesellschaft könnte dazu neigen, sich der Schwachen und Alten zu entledigen. Das könnte soweit gehen, dass die Alten nicht mehr Leben wollen, weil sie niemandem zur Last fallen wollen. Bei der Babyklappe ist es ja schon so, dass Kinder nicht versorgt werden können oder sollen und deshalb einfach abgelegt werden. Die zynische Frage lautet, warum sollte man das nicht eines Tages auch mit Alten machen können?

Hat das auch etwas damit zu tun, dass sich Familien immer mehr auseinander leben, anstatt sich bis zum Ende umeinander zu kümmern?
Das spielt eine große Rolle. Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Der Großvater kam zum Sterben in die „Gute Stube“, die sonst nur sonntags genutzt wurde. Die Kinder haben vorgelesen, so dass er ihre Stimmen hören konnte. Heute ist es gerade in Großstädten mit einer großen Zahl an Single-Haushalten schwierig, von Angehörigen begleitet zu werden. Hinzu kommt, dass die Möglichkeiten der Sterbebegleitung nicht genug bekannt sind – weil das Thema in der Gesellschaft tabuisiert wird.

Mit dem SPES VIVA Hospizdienst arbeiten Sie daran, dass Sterbende möglichst zuhause leben können. Wie funktioniert das in der Praxis?
Menschen haben seit einigen Jahren Anspruch auf einen spezialisierten ambulanten Palliativdienst. Das heißt, sie haben das Recht, zuhause versorgt zu werden. Ein ausgebildeter Arzt und eine Pflegekraft helfen vor Ort. Ehrenamtliche Hospizdienste und Seelsorger unterstützen. Die Nachfrage nach Sterbebegleitung zuhause ist sehr hoch und eine gute Möglichkeit, in Ruhe zu sterben.

Sie kritisieren auch die psychische Belastung für den Menschen, der aktive Sterbehilfe ausübt.
Ich weiß nicht, welche Weltanschauung diese Menschen vertreten und ob sie selbst betreut werden. Ich habe die Befürchtung, dass kommerzielle Interessen eine große Rolle spielen.

Sie meinen, dass Menschen diese Aufgabe des Geldes wegen übernehmen?
Ja, natürlich. Die Sterbehilfe-Organisationen in Deutschland sind meines Erachtens sehr kommerziell ausgerichtet. Ich habe mir Diagnosen von Patienten einer Organisation angesehen. Nur 75 Prozent dieser Menschen waren für mich unheilbar krank. Und selbst dann heißt es nicht, dass sie daran sterben müssen. Das ist schon ein Hammer. Noch mal: Die Menschen haben Angst vor Schmerzen, vor dem Alleinsein und davor, zur Last zu fallen. Diese Ängste müssen und können wir ihnen nehmen.

Interview: Florian Schmitz

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