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Ideen, uralt – nicht veraltet
Foto: Christopher Ludwig

Freude, schöner Faktenfunken

02. April 2019

Europas Ideenwelt lebt weiter. Ein fairer Diskurs?

Platon sprach von einer Gefahr für Tugend und Leben, als er die Sophisten als manipulative Wortverdreher beschrieb. Knapp 2.500 Jahre ist es her, dass er vor ihnen warnte. Und doch mag man sich vorstellen, wie der Philosoph noch heute in den Chefetagen von Konzernen herumpoltert. Etwa bei E.ON, Evonik, RWE und Tyhssenkrupp. Denn die Big-Player aus dem Ruhrgebiet riefen jüngst im großen Stil zur Europawahl auf. Ihre Schlagworte: Konsens, Zusammenarbeit, Wohlstand.

Konkret klingt ihr Appell, als hätten sich die Konzernchefs über Jahrzehnte mit Werktätigen, prekär Beschäftigten oder Geflüchteten auf ein paar Latte Macchiato getroffen, um im gemeinsamen Austausch jenen Laden zu schmeißen, den sie „freie Marktwirtschaft“ nennen. Lief ja immer astrein. Jetzt aber nicht mehr. Denn jetzt gebe es Populismus, so der Tenor der Konzerne. Von rechts. Von links. Da mahnt Thyssenkrupp-Chef Guido Kerkhoff: „Es ist schon erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit es manchen gelingt, auszublenden, was Europa für uns bedeutet.“

Ganz einfache Ansage: Wir sitzen alle in einem Boot. Das ist die Idee Europas. Sie findet sich auch bei klugen Menschen. Robert Menasses Roman „Die Hauptstadt“ wurde dafür gefeiert, dass er dieses Einigungs- und Friedensprojekt in tolle Prosa verpackte. Bekanntlich flog schließlich auf, dass der Schriftsteller es mit den Fakten nicht so genau nahm, als er (in der Belletristik und auch in Essays) dem EU-Politiker Walter Hallstein Worte in den Mund legte, die dieser so nie gesagt hat. Es ginge um die europäische Einigungsidee, verteidigte sich der Hegel-Fan Menasse.

Hegel tritt da fast als Stichwortgeber auf, um den Zustand des EU-Diskurses zu beschreiben. Als der Philosoph des Weltgeistes seine Vorlesung hielt, so die Überlieferung, warf einer seiner Studenten ein: In der Natur gebe es ja nicht diese Notwendigkeit, da herrsche eben der Zufall. Hegel konterte: „Umso schlimmer für die Natur“. Dieses Hegelsche Bonmot lässt sich auf die EU anwenden: Deutsche Hegemonie? Mangelnde Demokratie? Massentod im Mittelmeer? Umso schlimmer für diese Zufälle! Es geht um die Idee!

Kant, ein anderer Visionär, forderte in „Zum ewigen Frieden“: Keine Bevormundung von Staaten gegenüber anderen. Aber beklagen genau das nicht Italien oder Griechenland gegenüber der Bundesrepublik? Zugeben würde das die Merkel-Regierung nicht, während diese das EU-Projekt hochhält. Um die Idee Europas zu verteidigen, werden nicht selten alle rhetorischen Register gezogen. Bis hin zum Umgang mit der Kritik à la Corbyn oder Linkspartei: „neoliberal, undemokratisch, militaristisch“? Wer die EU anprangert, ist gegen ein gemeinsames Europa. Dabei steht bei dieser linken Kritik ein anderer, eher verdrängter Geist Europas Pate: Lenin. Ein vereinigtes Europa unter kapitalistischen Rahmenbedingungen hielt er für „unmöglich“ und „reaktionär“. Mehr nicht.

Und was bedeutet nun Europa für uns, Herr  Kerkhoff? Keinen Konsens. Aber eine umkämpfte Tradition, die sich aus den Klassikern wie Platon, Kant oder Hegel speist. Diese Ideenwelt lebt weiter. Sie ist nur schlecht verdaut. Ob als Fake-News, Postfaktizität oder eben Sophismus. Die Luft in Europa wird jedenfalls nicht besser.


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Benjamin Trilling

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