Ein Milliardär
„Es gibt diese Schwelle auf der theoretisch nach oben hin offenen Skala des Reichtums, jenseits der nur noch Blödsinn liegt. Also Blödsinn im Sinne von rational nicht fassbar. Ich spreche von einem Reichtum, den man gar nicht ausgeben kann. Ich meine Vermögen, bei dem Yachten der Majesty-Klasse (die ihren Namen nicht zu Unrecht trägt) nicht mehr ins Gewicht fallen als bei anderen die spontane Digitalkamera bei der wöchentlichen Shoppingtour. So etwas ist natürlich unmöglich! Unmoralisch und unerhört! Ich habe nur diese meine Hedonistic Holothurian, ein Zweihundert-Fuß-Schätzchen. Aber die reicht mir auch. Eigentlich wollte ich meinem Sohn diesen Frühling die Malediven zeigen mit dem Boot, aber das konnten wir uns abschminken. Wir hätten nirgends anlegen dürfen. Außerdem wollte er unbedingt mal diese Zeche Zollverein in Essen sehen. Irgendeine Fotoausstellung soll da sein. Ist ja gut, wenn er sich interessiert. Aber das hat ja auch erstmal zu, zumindest die Museen. Der Kleine ist am Boden zerstört.“
Ein Yachthändler
„Ja, auch mein Geschäft läuft schlecht derzeit. Jetzt habe ich zwar letztens erst noch ein Zweihundert-Fuß-Boot verkaufen können, aber seit dem Lockdown ist das Yachtengeschäft erstmal auf Grund gelaufen. Das heißt, dass ich mir den Sommerurlaub dieses Jahr abschminken kann. Die laufenden Kosten für das Haus, die Büros und meine eigenen zwei Boote sind einfach zu hoch. Ich habe dieses Jahr etwas knapper kalkuliert. Hatte ja auch in das Büro in Rio investiert. Na gut, ich verkrafte das ganz gut, aber um meine Kinder tut es mir leid. Und um eine Freundin von mir, die ist Fotografin und sollte eine richtig wichtige Fotoausstellung irgendwo in Essen haben. Die ist erstmal abgesagt oder verlegt oder so. Meine Kunden könnten ruhig mal öfter ihr halbes Vermögen in die Medikamentenforschung stecken, damit wir schneller wieder normal reisen dürfen!“
Eine Dokumentarfotografin
„Das hätte mein Durchbruch werden sollen. Und jetzt heißt es: Meine Fotoausstellung wurde auf 2021 verschoben. Damit man nicht auch alle anderen Ausstellungen dieses Jahr verschieben müsse. Ja, natürlich habe ich gut bezahlte Aufträge. Aber erstens sind die jetzt weniger und dann hatte ich fest damit gerechnet, mit der Ausstellung neue zu bekommen. All meine Kohle habe ich in neues Equipment gesteckt. Die letzten Reisen nach Bergkarabach und Kaschmir habe ich aus eigener Tasche bezahlt. Viel Geld lässt sich mit so was ja nicht machen, aber das war mir ein Anliegen, über diese Konfliktregionen zu berichten mit meinen Bildern. Und wie bezahle ich jetzt meine Wohnung? Klar, ich habe gesehen, mit wie wenig die meisten Menschen auf der Welt auskommen. Aber muss ich jetzt wirklich wegen so einem Virus in eine kleinere Wohnung ziehen? Und dann womöglich raus aus Berlin und zurück nach Oberhausen? In Indien lebt eine ganze zwölfköpfige Familie in einer Hütte ohne einzelne Zimmer, ohne jede Privatsphäre, ja. Aber wie findet es wohl mein Leon, wenn er sich das Zimmer mit Emily teilen muss?“
Ein Pubertierender
„Ich hasse Jannik voll! Warum haben der und ich nur ein Zimmer? Alle in meiner Klasse haben ein eigenes Zimmer. Nur ich muss mir eins mit Jannik teilen. Und die Zeynep, die hat auch nur ein Zimmer mit ihrer Schwester. Aber sonst alle. Bestimmt alle in ganz Gelsenkirchen, ej! Normalerweise bin ich ja immer mit Lina und Annika am chillen nach der Schule, aber jetzt geht das ja nicht. Jannik sitzt die ganze Zeit im Zimmer und zockt und im Wohnzimmer ist Mutter auch immer da. An der Kasse im Fotokunstding, wo sie arbeitet, braucht man ja keinen mehr gerade. Und ständig schreit sie uns an. Kann ich was dafür, dass sie weniger Geld jetzt hat wegen diesem Scheißvirus? Die kann das ja nicht auf mich abwälzen. Ich bekomme sowieso schon weniger Taschengeld als alle anderen. Warum nimmt man nicht allen, die mehr als 3.000 Euro verdienen, was ab und gibt das meiner Mutter? Und der Mutter von Zeynep. Braucht ja nicht jeder iPhone 11 Pro Max. Kann doch jeder so Huawei P smart oder so haben.“
Ein Yak-Hirte
„Wir sind einfache Menschen hier in Ladakh. Die Politiker streiten sich darum, ob dieses Land jetzt indisch, pakistanisch oder chinesisch ist. Uns ist das egal, wir sind Brokpa. Ich habe gehört, dass die meisten Kinder in den reichen Ländern ein eigenes Zimmer haben. Nicht nur die Superreichen, die gibt es immer. Aber ich liebe mein Leben hier draußen. Meine Kinder nicht, sie wollen auch diesen Luxus. Das kann ich ihnen leider nicht bieten. In Europa leben Menschen alleine auf 60 Quadratmetern. Sie haben mehr als fünf Kleider. Und sie haben Autos mit vier Sitzen, fahren damit aber alleine durch die Gegend. Mein zweitältester Sohn sagt, dass man das Geld von diesen Leuten wegnehmen soll. Niemand braucht 60 Quadratmeter zum Leben oder vier Mal so viel Auto, wie er Platz einnimmt. Ich will ihnen nichts wegnehmen. Ich gönne es ihnen. Und außerdem käme von diesem Geld sowieso nichts bei uns an. Höchstens in Form von Bomben und Gewehren. Na, immerhin kommen hier keine Fremden mit irgendwelchen Krankheiten hin. Und wenn: Krank wird jeder mal. Arbeit können wir keine verlieren, denn wir leben von dem, was wir anbauen.“
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